Rz. 51
Hinsichtlich der Frage, ob sich der Zweitgeschädigte ein Mitverschulden des erstgeschädigten Angehörigen an dem Unfallereignis in Bezug auf seinen Schmerzensgeldanspruch anrechnen lassen muss, hat der BGH eine entsprechende Anwendung des § 846 BGB zu Recht abgelehnt. In solchen Fällen handelt es sich nicht um eine mittelbare Drittschädigung, sondern um eine unmittelbare Schädigung des Dritten, die einen eigenen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB rechtfertigt und die entsprechende Anwendung des § 254 BGB unter Beachtung des § 242 BGB festlegt (BGH VersR 1971, 905). Demnach ist bei dem gem. § 253 BGB nach Billigkeit zu bemessenden Schmerzensgeldanspruch, dem eine mittelbare Verursachung zugrunde liegt, das Mitverschulden des Erstgeschädigten zu berücksichtigen, sodass die Anrechnung stets zu erfolgen hat.
Rz. 52
Die psychisch vermittelte Beeinträchtigung des Zweitgeschädigten beruht nämlich gerade auf der besonderen persönlichen Beziehung zum Erstgeschädigten.
Rz. 53
Insbesondere dieser Begründung des BGH, die sich auf die enge Verbindung beider Geschädigten stützt, sind zeitweilig einige Vertreter der Literatur entgegen getreten (Deubner, Entscheidungsrezension zum Urteil des BGH vom 11.5.1971, JuS 1971, 622; Selb, Anm. zum selben Urteil, JZ 1972, 124; E. Schmidt, MDR 1971, 538). Es sei vor allem fraglich, warum bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für den Zweitgeschädigten die Anrechnung des Verschuldens seitens des diesem nahe stehenden Erstgeschädigten der Billigkeit entsprechen soll. So setze doch gerade § 254 Abs. 1 BGB voraus, dass bei Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat, mithin der entstandene Schaden uneingeschränkt zu ersetzen sei, wenn den Geschädigten kein Verschulden trifft.
Rz. 54
Hat der Hinterbliebene als unmittelbar Geschädigter den Unfall weder verschuldet noch mitverschuldet, sei ihm bei entsprechender Anwendung des § 254 BGB Schmerzensgeld in voller Höhe zu zahlen, ohne dass es einer besonderen Beachtung der Beziehung der Geschädigten zueinander bedürfe.
Rz. 55
Trotz dieser beachtenswerten Kritik hat die Rechtsprechung an den Grundsätzen des BGH bisher festgehalten (vgl. z.B. KG VersR 1999, 504: Anrechnung des Mitverschuldens eines zehnjährigen Sohnes) und wird in ihrer Auffassung vom weit überwiegenden Teil der Literatur unterstützt.
Rz. 56
Das OLG Hamm wich ausnahmsweise (VersR 1982, 557) von der grundsätzlichen Anrechnung des Mitverschuldens ab, ohne jedoch die höchstrichterlichen Grundlagen der Anrechnung nach §§ 254, 242 BGB in Frage zu stellen. Weil die monatelang arbeitsunfähige Klägerin durch das zugrunde liegende Unfallereignis sowohl ihren zu ¼ mitschuldigen Ehemann als auch einen Sohn verloren hat sowie schwere Verletzungen des zweiten Sohnes hinnehmen musste, hat das Gericht aufgrund der besonderen Tragik des Unfalls festgestellt, dass eine Mitverschuldensanrechnung wegen des Widerspruchs zum Rechtsgedanken des § 242 BGB nicht erfolgen darf.