Mitverschulden bei Mitfahrt mit erkennbar Betrunkenem

Wer sich zu einem erkennbar betrunkenen Fahrer ins Auto setzt, verstößt gegen seine Sorgfaltspflichten. Bei eigenen Verletzungen in einem vom Fahrer verursachten Unfall greift eine Mithaftung.

Ein stark alkoholisierter Mann und sein ebenfalls betrunkener, nicht angeschnallter Beifahrer waren am frühen Morgen auf dem Heimweg von einer Gaststätte, als der Fahrer auf gerader Strecke mit hoher Geschwindigkeit auf eine landwirtschaftliche Zugmaschine auffuhr. Die knapp zwei Stunden nach dem Unfall entnommenen Blutentnahmen ergaben für den Fahrer eine Blutalkoholkonzentration von 1,68 und für den Beifahrer von 1,71 Promille.

Beifahrer erlitt starke Verletzungen

Der Beifahrer erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und diverse andere Verletzungen und war mit Unterbrechungen 14 Monate in stationärer Behandlung. Er konnte als Folge des Unfalls seinem Beruf als selbstständiger Metallbauer nicht mehr nachgehen. Zudem war er in der Haushaltsführung beeinträchtigt. Vom Fahrer des Unfallwagens forderte der Beifahrer ein Schmerzensgeld in Höhe von 95.000 EUR.

Die beiden Männer hatten schon am Nachmittag des Vortages einigen Alkohol konsumiert, während sie an dem Garagentor des Unfallfahrers arbeiteten. Danach waren sie in eine Gaststätte gefahren, wo sie noch mehr Alkohol tranken.

Fahrlässiges Mitverschulden des Beifahrers

Das Landgericht legte dem klagenden Beifahrer ein fahrlässiges Mitverschulden von einem Drittel zur Last. Er habe schuldhaft gegen die ihn treffende Obliegenheit zur Schadensvermeidung/-minderung verstoßen. Das Oberlandesgericht Schleswig bestätigte das Urteil.

Gemäß § 254 Abs. 1 BGB muss sich der Geschädigte ein ihn treffendes Verschulden bei der Entstehung eines Schadens anrechnen lassen. Dies betreffe sowohl die Tatsache, dass der Beifahrer nicht angeschnallt war, als auch und insbesondere die Tatsache, dass er mit einem erheblich alkoholisierten Fahrer mitgefahren sei.

Die Obliegenheit zur Schadensvermeidung/-minderung

Das Gericht stellte fest: Wer mit einem alkoholbedingt Fahruntüchtigen mitfährt, verstößt gegen die eigene Obliegenheit zur Schadensvermeidung bzw. Schadensminderung, da mit einer solchen Fahrt eine erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit einhergeht (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil v. 10.07.1979, VI ZR 223/87).

Zum Zeitpunkt, an dem der Kläger in das Fahrzeug des absolut fahruntüchtigen Unfallverursachers stieg, habe sich der klagende Beifahrer zwar aufgrund seiner Alkoholisierung in einem vorübergehend die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden. Gemäß § 827 Satz 2 BGB ist aber derjenige, der sich selbst durch geistige Getränke in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt hat, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele. Es sei denn, er ist ohne Verschulden in diesen Zustand geraten.


(OLG Schleswig, Beschluss v. 08.04.2021, 7 U 2/20)


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