Fahrradunfall ohne Helm – Mitschuld des Radlers?
Die Kollision einer Fahrradfahrerin mit einem Auto endete mit schweren Verletzungen der Radfahrerin. Der beklagte Autofahrer wollte rechts abbiegen, übersah dabei die Fahrradfahrerin und stieß mit ihr zusammen. Die 27-jährige Frau, die keinen Helm trug, stürzte zu Boden und verletzte sich schwer am Kopf. Sie musste eine Woche stationär ins Krankenhaus, verlor ihren Geruchssinn und war vier Wochen arbeitsunfähig.
In der gerichtlichen Auseinandersetzung ging es um die Höhe des Schmerzensgeldes und insbesondere um die Frage, ob auf Seiten der Radfahrerin ein Mitverschulden vorliegt, weil sie zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Helm getragen hatte.
OLG sieht kein Mitverschulden der Radfahrerin
Das OLG Nürnberg war der Auffassung, dass nicht zulasten der Fahrradfahrerin im Sinne eines Mitverschuldens berücksichtigt werden kann, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Helm trug.
Der Bundesgerichtshof habe in seinem Urteil v. 17. Juni 2014 (VI ZR 281/13) zutreffend ausgesprochen, dass jedenfalls bis zum Jahr 2011 grundsätzlich kein Mitverschulden dadurch begründet wurde, dass ein Radfahrer bei einem Unfall keinen Helm getragen hat.
Verkehrsgerechtes Verhalten hängt nicht vom Tragen eines Fahrradhelms ab
Allein mit einem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon sei ein verkehrswidriges Verhalten nicht zu begründen. Andernfalls müsste bei jeder Tätigkeit mit ähnlichem oder höherem Kopfverletzungsrisiko ein Mitverschulden bejaht werden, wenn der durch den Sturz Geschädigte keinen Helm getragen hatte. Dies würde dann beispielsweise auch für das Besteigen von Haushaltsleitern gelten.
Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertige noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhalte, wenn er einen Helm trägt.
Tragen eines Helms entspricht nicht dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein
Anlass für die Annahme eines Mitverschuldens durch das Nichttragen eines Schutzhelms könnte nach Auffassung des BGH dann vorliegen, wenn im Unfallzeitpunkt nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren zum eigenen Schutz erforderlich ist. Zu einem solchen Verkehrsbewusstsein hätten die Beklagten jedoch nichts Substanzielles vorgetragen.
Das Gericht wies darauf hin, dass regelmäßige Verkehrszählungen im Nürnberger Stadtgebiet die Annahme bestätigten, dass es kein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen eines Helms bei Fahrradfahrern gebe. So hätten Zählungen im Jahr 2020 ergeben, dass nur gut 21 Prozent der Fahrradfahrer einen Helm getragen hätten. Die Quote sei in den letzten Jahren damit zwar leicht gestiegen. Dennoch nutzte die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Radfahrer – fast 80 Prozent – keinen Helm beim Fahrradfahren, insbesondere nicht innerorts.
Eventuell höhere Anforderungen für Rennradfahrer und Mountainbiker
Das Gericht wies darauf hin, dass für spezielle Formen des Radfahrens die Beurteilung anders ausfallen könne. Konkret verwies das Gericht auf Formen sogenannten sportlichen Radfahrens, die mit einem erheblich gesteigerten Verletzungsrisiko des Kopfes verbunden seien. Beispielhaft dafür nannte das Gericht Rennradfahren mit tiefer Kopfhaltung und Fixierung der Schuhe an den Pedalen oder Mountainbike-Fahren im freien Gelände.
Im Ergebnis kam das Gericht zu der Auffassung, dass der klagenden Radfahrerin ein Gesamtschmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zusteht.
(OLG Nürnberg, Urteil v. 28.08.2020, 13 U 1187/20)
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