Entscheidungsstichwort (Thema)
Mithaftung eines (stark) betrunkenen und nicht angeschnallten Beifahrers für seine eigenen Verletzungen bei einem Verkehrsunfall und erkennbar betrunkenen Fahrer
Leitsatz (amtlich)
1. Wer sich zu einem erkennbar betrunkenen Fahrer, der alkoholbedingt nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen, ins Auto setzt, verstößt gegen die eigene Sorgfalt.
2. Der Einwand, er habe aufgrund seiner eigenen starken Alkoholisierung die absolute Fahruntüchtigkeit der Fahrperson nicht mehr erkennen können, verfängt nicht. Insofern knüpft ein Mitverschuldensvorwurf gemäß §§ 254, 827 S. 2 BGB bereits daran an, dass man sich zumindest fahrlässig durch Konsum alkoholischer Getränke in einen Zustand versetzt hat, in dem man nicht mehr über die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt.
3. Selbst wenn der Mitfahrer ohne oder gegen seinen Willen von Dritten in das Fahrzeug der fahruntüchtigen Fahrperson verbracht worden ist, entlastet ihn dies nicht. Er hätte sich jedenfalls nicht selbstverschuldet in einen Zustand versetzen dürfen, der die mögliche Eigensorgfalt im weiteren Verlauf ausschließt.
4. Verursacht der betrunkene Fahrer einen Auffahrunfall, bei dem der Mitfahrer zu Schaden kommt, ist es daher sachgerecht, letzterem hinsichtlich seiner dabei erlittenen Verletzungen eine Mithaftung in Höhe von einem Drittel aufzuerlegen.
Normenkette
BGB §§ 254, 827 Abs. 2; StVG § 9
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 03.12.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kiel ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Beschlusses vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 66.177,02 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger (geb. 01.05.1968) macht materielle und immaterielle Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem er als Beifahrer schwere Verletzungen erlitt.
Am Nachmittag des 13.04.2012 half der Kläger dem Zeugen B. bei Arbeiten an dessen Garagentor. Während dieser Zeit trank der Kläger drei kleine Flaschen Bier und eine Flasche Wein. Auch der Zeuge B. hatte Alkohol zu sich genommen. Nach Abschluss der Arbeiten fuhren beide mit dem bei der Beklagten gegen Haftpflichtschäden versicherten Pkw des Zeugen in eine Gaststätte.
Am Morgen des 14.04.2012 setzten der Zeuge B. und eine weitere (unbekannte) Person den Kläger auf den Beifahrersitz des Pkws des Zeugen. Der Zeuge B. fuhr aus H. in Richtung K.. Gegen 5:30 Uhr kam es auf gerader Strecke bei hoher Geschwindigkeit zu einem Auffahrunfall mit einer landwirtschaftlichen Zugmaschine. Eine noch am selben Morgen dem Zeugen B. um 7:20 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,68 Promille. Die Blutprobe des Klägers, entnommen um 7:21 Uhr, ergab einen Ethanol-Wert von 1,81 Gramm pro Liter (umgerechnet eine BAK von 1,71 Promille). Bei dem Unfall wurde der Kläger erheblich verletzt, u. a. erlitt er ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, ein rupturiertes Aortenaneurysma, Schnittverletzungen an der Stirn, eine Rippenserienfraktur links sowie eine distale Unterschenkelfraktur links. Mit Unterbrechungen befand er sich bis zum 29.06.2015 in stationärer Behandlung.
Seiner Tätigkeit als selbstständiger Metallbauer konnte der Kläger nicht mehr nachgehen. Darüber hinaus war er unfallbedingt in der Haushaltsführung beeinträchtigt.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.07.2012 machte der Kläger gegenüber der Beklagten erstmalig Schadenersatzansprüche dem Grunde nach geltend und forderte einen Vorschuss in Höhe von 30.000 EUR. Auf weitere Forderungsschreiben hin zahlte die Beklagte zunächst ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR und im April 2019 weitere 10.000 EUR als frei verrechenbaren Vorschuss.
Die Ehe des Klägers wurde am 14.08.2015 geschieden. Anschließend zog der Kläger aus dem gemeinsamen Haus (Wfl. 140 m2, Grundstück 500 m2) aus.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 95.000 EUR zustehe. Ihm seien Dauerschäden entstanden, u. a. leide er infolge des Unfalls unter einer Blasenentleerungsstörung, einer erektilen Dysfunktion, Sensibilitätsstörungen in Armen und Beinen, fortwährenden Schmerzen sowie einer schweren Depression. Er sei auf Dauer in der Wahrnehmung seiner Haushaltsaufgaben beeinträchtigt. Für die Zeit vom 01.06.2012 bis 31.12.2015 macht er deshalb einen Haushaltsführungsschaden geltend.
Dazu hat der Kläger behauptet, er sei zum Unfallzeitpunkt angeschnallt gewesen. Von der Alkoholisierung des Zeugen B. habe er nichts b...