Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitverschulden bei Mitfahrt mit betrunkenem Fahrzeugführer. Verantwortung des Fahrzeugführers für Anlegen der Sicherheitsgurte des betrunkenen Beifahrers. Umfang des Mitverschuldens des Beifahrers bei Trunkenheit des Fahrers
Leitsatz (amtlich)
1. In der Teilnahme eines Beifahrers an einer Autofahrt trotz erkennbarer Trunkenheit des Fahrers liegt ein Verstoß gegen die eigenen Interessen.
2. Im Rahmen des § 254 BGB gilt § 827 Satz 2 BGB entsprechend. Danach kann ein Beifahrer für den objektiven Verstoß gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt verantwortlich sein, weil er sich selbstverschuldet in den vorübergehenden Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung versetzt hat. Der Mitverschuldensvorwurf wird durch diese Vorschrift vorverlagert und zielt auf die Tatsache ab, dass der Beifahrer zumindest fahrlässig durch seinen Alkoholkonsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit hatte.
3. Bei der Bemessung des Mitverschuldens eines Beifahrers darf nicht übersehen werden, dass den einen Verkehrsunfall verursachenden betrunkenen Fahrzeugführer in der Regel eine größere Verantwortung trifft als den geschädigten Beifahrer. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat.
Auch ein wegen Alkoholisierung absolut fahruntüchtiger Fahrer, der eine andere alkoholisierte Person in seinem Pkw mitnimmt, hat dafür zu sorgen, dass sich der Mitfahrer anschnallt.
Normenkette
BGB §§ 254, 823, 827; StVG § 7; StVO § 21a
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Entscheidung vom 17.07.2009; Aktenzeichen 3 O 49/08) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 17. Juli 2009 - 3 O 49/08 - im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger zwei Drittel des materiellen Schadens zu ersetzen hat, der dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 15.09.2007 gegen 12:55 Uhr auf der Bundesautobahn A 7, Kempten Richtung Würzburg bei km 763,920, als Insasse in dem auf den Beklagten zugelassen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen xxx entstanden ist, soweit der Anspruch nicht auf Sozialleistungsträger übergegangen ist. Es wird ferner festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von einem Drittel zu ersetzen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen der Kläger ein Drittel und der Beklagte zwei Drittel.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger ein Sechstel und der Beklagte fünf Sechstel.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für Schäden, die er als Beifahrer bei einem Unfallereignis erlitten hat, bei dem der Beklagte Fahrer des Fahrzeuges war.
Am 15.09.2007 erlitt der Kläger anlässlich eines Verkehrsunfalls, bei dem der Beklagte infolge alkoholischer Beeinflussung auf der Bundesautobahn 7 bei km 763,920 von der Fahrbahn abgekommen ist, schwere Verletzungen. Der Schaden des Klägers ist nicht ansatzweise bezifferbar. Zu dem Unfall kam es wie folgt: Am 15.09.2007 besuchte der Kläger mit dem Beklagten die so genannten Highland-Games in Ellwangen. Der Beklagte fuhr mit seinem Fahrzeug, in dem der Kläger Mitfahrer war. Der Kläger hatte bereits vor Antritt der Fahrt erheblich Alkohol genossen. Auch auf dem Fest wurde in erheblichen Mengen Alkohol getrunken. Gegen Mittag traten unter zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Umständen die Parteien den Rückweg an, wobei der Beklagte als Fahrer das Fahrzeug lenkte und der Kläger mitfuhr. Auf der Bundesautobahn 7 bei km 763,920 verursachte der Beklagte ohne Einwirkung Dritter einen Verkehrsunfall, wobei das Fahrzeug zumindest auch mit der rechten Seite an den Leitplanken entlang schleifte und schließlich so an den Leitplanken zum Stehen kam, dass der aus dem Fahrzeug Fenster hängende Arm des Klägers zwischen Fahrzeug und Leitplanken zumindest eingeklemmt wurde. Der Kläger wurde im Fahrzeug herum geschleudert und erlitt beim Aufprall auf die Leitplanke schwerste Kopfverletzungen an der rechten Kopfhälfte. Die rechte Gesichtshälfte (von der Nase bis zum Hinterkopf) war zertrümmert. Die Weichteile des Oberarms (im Ellbogenbereich) waren abgeschürft. Der Ellbogen, die Finger und das Handgelenk waren mehrfach gebrochen. Aufgrund seiner Verletzungen wurde der Kläger mit einem Rettungsh...