Wann leistet die Vollkasko bei einem Unfall mit 0,88 ‰ nicht?

Wer alkoholisiert einen Unfall verursacht, muss damit rechnen, dass der Vollkaskoversicherer die Leistungen auf Null kürzen kann. Das gilt sogar dann, wenn keine absolute Fahruntüchtigkeit vorliegt. Welche Kriterien hier gelten, hat das OLG Hamm dargelegt.

Ein Autofahrer war mit seinem Fahrzeug innerorts unterwegs, kam bei einem nahezu geraden Fahrbahnverlauf von der Straße ab und verursachte einen Unfall. Überhöhte Geschwindigkeit schied als Unfallursache aus. Bei ihm wurden 0,88 Promille Alkohol festgestellt. Er hatte nach eigenen Angaben vor der Fahrt eine halbe bis dreiviertel Flasche Wein getrunken und die Fahrt unternommen, um sich noch mehr Alkohol zu besorgen.

Unfallfahrer hatte deutliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen

Zum Zeitpunkt der Blutentnahme zeigte der Mann deutliche, alkoholbedingte Ausfallerscheinungen: einen torkelnden Gang, eine unsichere Kehrtwendung, eine verwaschene Sprache und eine unsicher absolvierte Finger-Finger und Finger-Nase-Prüfung.

Der Unfallfahrer selbst sah keinen Zusammenhang zwischen Alkoholgenuss und Crash. Er argumentierte, dass er durch den Bordcomputer abgelenkt gewesen sei und deshalb von der Straße abgekommen war.

Vollkaskoversicherung zahlte nicht, auch nicht anteilig

Mit seinem Vollkaskoversicherer verhandelte er um den Ersatz des Schadens. Die Versicherung lehnte es ab, den Schaden zu regulieren. Sie nahm eine Leistungskürzung auf Null vor.

Das OLG Hamm kam zu der Einschätzung, dass der Mann aufgrund eines alkoholbedingen Fehlverhaltens von der Fahrbahn abgekommen war, die festgestellte alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit damit für den Unfall ursächlich war. Es bestätige auch die Einschätzung des Landgerichts, dass eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers gesehen hatte.

Auch bei relativer Fahruntüchtigkeit kann die Versicherung eventuell die Zahlung verweigern

Bei der Frage nach der vollständigen Leistungsfreiheit eines Versicherers sei eine Differenzierung zwischen absoluter und relativer Fahruntüchtigkeit nicht entscheidend – eine absolute Fahruntüchtigkeit liegt bei Autofahrern bei 1,1 Promille vor. Der Unterschied zwischen absoluter und relativer Fahruntüchtigkeit betreffe nämlich nur das Beweisrecht. Eine relative Fahruntüchtigkeit sei aber keine mindere Form der Fahruntüchtigkeit.

Wann ein Versicherer bei Alkohol am Steuer die Leistungen auf Null kürzen kann

Ein Kaskoversicherer kann die Leistungen grundsätzlich nur in besonderen Ausnahmefällen auf Null kürzen. Das kommt beispielsweise bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit in Betracht, aber eben nicht nur. Grund dafür ist (auch), dass sich derartige Fälle in der Regel im Grenzgebiet zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bewegen und das Führen eines Fahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand nach der ständigen Rechtsprechung des BGH zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt gehört. Selbst in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit ist immer eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls erforderlich, so dass nicht pauschal in jedem Fall von Fahruntüchtigkeit eine Leistungskürzung auf Null vorzunehmen ist.

  • Eine Leistungsfreiheit eines Versicherers kommt jedenfalls auch dann in Betracht, wenn, wie im vorliegenden Fall, bei einer relativen Fahruntüchtigkeit die Blutalkoholkonzentration nicht weit von der absoluten Fahruntüchtigkeit entfernt ist
  • und sich der Alkohol erheblich auf den Eintritt des Unfalls ausgewirkt hat,
  • ohne dass Umstände vorliegen, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit jedenfalls im subjektiven Bereich im milderen Licht erscheinen lassen.

Verhalten des betrunkenen Autofahrers nahe am Vorsatz

Mildernde Umstände sah das OLG nicht. Ganz im Gegenteil. Dass der Mann auf dem Weg war, sich noch mehr Alkohol zu besorgen, müsse erschwerend berücksichtigt werden. Das Verhalten des Mannes habe sich einer Vorsatzsituation angenähert, so das Gericht. Im Fall einer – lediglich – grob fahrlässigen Herbeiführung eines Versicherungsfalles, komme eine Leistungsfreiheit des Versicherers insbesondere dann in Betracht, wenn der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit sich dem Vorsatz annähere.

(OLG Hamm, Beschluss v. 19.07.2021, 20 U 129/21).

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Hintergrund: Alkohol am Steuer als Obliegenheitsverletzung

War der Fahrer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage, das Fahrzeug sicher zu führen, liegt eine zur (begrenzten) Leistungsfreiheit des Versicherers führende Obliegenheitsverletzung vor (§ 2b Abs. 1 S. 1 AKB 2008). Auch im Versicherungsrecht gilt, dass ein Kraftfahrer mit 1,1‰ absolut fahruntauglich ist.

Aber auch eine relative Fahruntauglichkeit, die bereits bei Blutalkoholwerten ab 0,3 ‰ gegeben sein kann, wenn weitere Ausfallerscheinungen, die in der Person oder dem Fahrverhalten liegen können, festgestellt werden, ist relevant.
Auch nach neuem Recht trifft den Versicherer die volle Beweislast für den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung, was – anders als bei absoluter Fahruntauglichkeit – in Fällen relativer Fahruntauglichkeit im Einzelfall problematisch sein kann:

Der Versicherer kann diesen Beweis nämlich weder mit dem Hinweis auf eine evtl. strafrechtliche Verurteilung, noch mit dem bloßen Hinweis auf die Blutalkoholkonzentration von z.B. 0,9 ‰ erbringen, er muss vielmehr das Vorliegen weiterer Umstände nachweisen, die die Fahrunsicherheit des Versicherungsnehmers beweisen. Den Beweis kann der Versicherer unter Umständen allerdings mit Hilfe eines Anscheinsbeweises führen, z.B. damit, dass der relativ fahruntaugliche Versicherungsnehmer mit seinem Pkw ohne jeden erkennbaren verkehrsbedingten Grund von der Fahrbahn abgekommen ist, wobei dem Versicherer der Anscheinsbeweis selbst bei relativ geringem Alkoholwert (hier 0,65 ‰) gelingen kann.
Entkräftung des Anscheinsbeweises: Diesen Anscheinsbeweis kann der Versicherungsnehmer jedoch dadurch entkräften, dass er eine andere mögliche Ursache für das Schadensereignis darlegt.


Schlagworte zum Thema:  Verkehrsunfall, Kfz-Versicherung