Unfall unter Alkoholeinfluss, wann darf die Versicherung Leistungen kürzen?
Eine plötzlich aus einem Waldgebiet kommende Wildschweinrotte, die die Straße querte, veranlasste einen Autofahrer abrupt auszuweichen. Dabei verlor er die Kontrolle über seinen Wagen und prallte gegen einen Baum. Das vollkaskoversicherte Auto erlitt einen wirtschaftlichen Totalschaden.
0,49 Promille bei einem Test 75 Minuten nach dem Unfall
Mit der Versicherung stritt sich der Fahrer um den Ersatz des Schadens. Der Versicherer wollte seine Leistung auf 50 % kürzen, weil bei dem Mann eine Blutalkoholkonzentration von 0,49 Promille gemessen wurde – der Test wurde etwa 75 Minuten nach dem Unfall durchgeführt. Er habe den Unfall grob fahrlässig verursacht, meinte der Kaskoversicherer, und verwies auf die AKB, die für diesen Fall das Recht zur Leistungskürzung vorsehen.
Versicherer trägt Darlegungs- und Beweislast für Kürzung seiner Leistungen
Das Brandenburgische Oberlandesgericht folgte der Auffassung des Versicherers nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche tatsächlichen Voraussetzungen eines Leistungskürzungsrechts trage der Versicherer, so das OLG. Hinsichtlich des Verschuldungsgrades könne er sich zwar auf Indizien, nicht aber auf den Beweis des ersten Anscheins stützen.
Voraussetzungen für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit
Entscheidend für die versicherungsrechtlichen Folgen von Blut im Alkohol ist: Der Versicherer kann bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,49 Promille nicht automatisch eine relative Fahruntüchtigkeit unterstellen. Damit die Voraussetzungen einer relativen Fahruntüchtigkeit bejaht werden können, deren Unfallkausalität vermutet werden kann, gilt folgendes:
- Es reicht für die Vermutung der Kausalität nicht, dass die Blutalkoholkonzentration zwischen 0,3 und 1,1 Promille liegt.
- Es müssen auch speziell alkoholtypische Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler vorgelegen haben,
- die den Schluss rechtfertigen, der Fahrer sei nicht mehr in der Lage gewesen, sein Auto sicher im Verkehr zu steuern.
Bei absoluter Fahruntüchtigkeit ab 1,1 Promille spielen Verfassung und Fahrverhalten keine Rolle
Anders ist es bei der absoluten Fahruntüchtigkeit. Die liegt ab 1,1 Promille vor. Wir dieser Wert erreicht oder überschritten, ist es unerheblich, in welcher Verfassung der Fahrer sich tatsächlich zum Unfallszeitpunkt befand, ob er Ausfallerscheinungen hatte oder nicht.
Keine Ausfallerscheinungen beim Unfallfahrer festgestellt
Im vorliegenden Fall konnten bei dem Mann keine Ausfallerscheinungen festgestellt werden. Die Tests, die er im Rahmen der Blutentnahme absolvieren musste – geradeaus gehen, plötzliche Kehrtwende, Finger-Finger-Probe und Finger-Nase-Probe absolvierte er ohne Probleme. Zudem wurde seine Sprache als deutlich, der Denkablauf geordnet und sein Verhalten als beherrscht unauffällig beschrieben.
Das Gericht konstatierte zwar, dass auch beim Unfallgeschehen zu Tage getretene alkoholtypische Fahrfehler, beispielsweise das Abkommen von der Fahrbahn ohne ersichtlichen Grund, den Schluss auf eine relative Fahruntüchtigkeit rechtfertigten. Jedoch müsse nicht der Versicherungsnehmer die von ihm behauptete alkoholunabhängige Unfallursache beweisen. Vielmehr müsse der Versicherer die Sachdarstellung des Versicherungsnehmers widerlegen. Die Versicherer durfte seine Leistung daher nicht auf 50 Prozent kürzen.
(OLG Brandenburg, Beschluss v. 8.1.2020, 11 U 197/18).
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Hintergrund: Alkohol am Steuer als Obliegenheitsverletzung
War der Fahrer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage, das Fahrzeug sicher zu führen, liegt eine zur (begrenzten) Leistungsfreiheit des Versicherers führende Obliegenheitsverletzung vor (§ 2b Abs. 1 S. 1 AKB 2008). Auch im Versicherungsrecht gilt, dass ein Kraftfahrer mit 1,1‰ absolut fahruntauglich ist.
Aber auch eine relative Fahruntauglichkeit, die bereits bei Blutalkoholwerten ab 0,3 ‰ gegeben sein kann, wenn weitere Ausfallerscheinungen, die in der Person oder dem Fahrverhalten liegen können, festgestellt werden, ist relevant.
Auch nach neuem Recht trifft den Versicherer die volle Beweislast für den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung, was – anders als bei absoluter Fahruntauglichkeit – in Fällen relativer Fahruntauglichkeit im Einzelfall problematisch sein kann:
Der Versicherer kann diesen Beweis nämlich weder mit dem Hinweis auf eine evtl. strafrechtliche Verurteilung, noch mit dem bloßen Hinweis auf die Blutalkoholkonzentration von z.B. 0,9 ‰ erbringen, er muss vielmehr das Vorliegen weiterer Umstände nachweisen, die die Fahrunsicherheit des Versicherungsnehmers beweisen. Den Beweis kann der Versicherer unter Umständen allerdings mit Hilfe eines Anscheinsbeweises führen, z.B. damit, dass der relativ fahruntaugliche Versicherungsnehmer mit seinem Pkw ohne jeden erkennbaren verkehrsbedingten Grund von der Fahrbahn abgekommen ist, wobei dem Versicherer der Anscheinsbeweis selbst bei relativ geringem Alkoholwert (hier 0,65 ‰) gelingen kann.
Entkräftung des Anscheinsbeweises: Diesen Anscheinsbeweis kann der Versicherungsnehmer jedoch dadurch entkräften, dass er eine andere mögliche Ursache für das Schadensereignis darlegt.
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