Dr. iur. Maximilian von Proff zu Irnich
Rz. 3
Die Berücksichtigung der Lebensgefährtin in einer Verfügung von Todes wegen kann in Ausnahmefällen wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein.
Eine langjährige Rechtsprechung des BGH war der Auffassung, dass die letztwillige Verfügung sittenwidrig ist, wenn der Erblasser eine Frau, zu der er außereheliche, insbesondere ehebrecherische, Beziehungen unterhalten hat, für sexuelle Dienste entlohnen will oder sie zu sexuellen Diensten bestimmen will ("Geliebtentestament"). Maßgebend war danach, dass der Entgeltcharakter einziger Grund für die Zuwendung war, was im Zweifel vermutet wurde. Selbst bei langjährigen Beziehungen – gleichgültig ob aus ihnen Kinder hervorgegangen waren oder nicht – kam der BGH zur (partiellen) Sittenwidrigkeit, obwohl er in derartigen Fällen die allein sexuelle Motivation und damit die Sittenwidrigkeit im Allgemeinen für fraglich hielt. Wegen der favor testamenti-Regel (§ 2085 BGB) war der BGH der Ansicht, dass die Sittenwidrigkeit die Zuwendung an die Lebensgefährtin nicht notwendig vollumfänglich erfasst. In einem Beschl. v. 31.3.1970 erhielt er die (Allein-) Erbeinsetzung der Lebensgefährtin dementsprechend als Miterbeinsetzung zu einer Quote von ¼ aufrecht.
Rz. 4
Die Problematik des Geliebtentestaments hat sich nach einer Rechtsprechungsänderung 1970 nach allgemeiner Einschätzung weitgehend entschärft. Seitdem obliegt es nicht mehr der bedachten Lebensgefährtin, eine Vermutung für die allein sexuelle Motivation zu widerlegen. Vielmehr trägt hierfür die Beweislast, wer sich auf Sittenwidrigkeit beruft. Motive des Erblassers, insbesondere ausdrücklich in seiner letztwilligen Verfügung angegebene, spielen hier eine zentrale Rolle. Schon aus diesem Grund sollte in der Kautelarpraxis mit Motivangaben sparsam umgegangen werden.
Rz. 5
Der für das Sittenwidrigkeitsverdikt zu führende Beweis der ausschließlich sexuellen Motivation dürfte kaum je zu führen sein. Überdies ist der in § 1 des Prostitutionsgesetzes angeordneten, auf die Vornahme der vereinbarten sexuellen Handlungen aufschiebend bedingten Rechtswirksamkeit des zwischen einer Prostituierten und ihrem Freier geschlossenen Vertrages nunmehr die Wertung zu entnehmen, dass selbst die ausschließlich sexuelle Motivation kein Sittenwidrigkeitsverdikt mehr rechtfertigen kann. Im Übrigen gewährleistet das Pflichtteilsrecht den nächsten Angehörigen den sittlich gebotenen Mindestanteil am Nachlass.
Rz. 6
Der BGH hat in der Folge entschieden, dass Zuwendungen in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt und von innerer Bindung getragen ist, auch dann nicht sittenwidrig sind, wenn ein Partner oder beide verheiratet ist bzw. sind. Dies gilt ausdrücklich auch für Zuwendungen unter Lebenden.
Rz. 7
Lange Zeit war die Rechtsprechung der Ansicht, dass für das Sittenwidrigkeitsurteil sowohl im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände als auch im Hinblick auf die maßgeblichen Wertanschauungen der Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung maßgeblich sei (Inhaltskontrolle). Allerdings konnte die Berufung auf die letztwillige Verfügung als unzulässige Rechtsausübung unwirksam sein, wenn die letztwillige Verfügung zwar nach den Verhältnissen bei Errichtung sittlich unbedenklich war, jedoch infolge nachfolgender Entwicklungen zu unsittlichen Auswirkungen führte (Ausübungskontrolle). Nach der "Hohenzollern-Entscheidung" des BVerfG vom 22.3.2004 dürfte sowohl im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände als auch hinsichtlich der Wertanschauungen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen sein.
Rz. 8
Man wird als heute gefestigte Rechtsprechung des BGH die sowohl für Rechtsgeschäfte unter Lebenden als auch für Verfügungen von Todes wegen gültige Aussage bezeichnen können, dass Zuwendungen in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt und von inneren Bindungen getragen sind, nicht sittenwidrig sind, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten. Solche besonderen Umstände, die im Einzelfall doch zur Sittenwidrigkeit führen können, können vor allem in der Vernachlässigung von Unterhaltspflichten gegenüber Familienangehörigen bestehen. Die Sittenwidrigkeit kann sich nach einem Urteil des OLG Schleswig vom 16.12.1994 auch daraus ergeben, dass die Regeln der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung und der Hausratsverordnung umgangen werden. Ein in Scheidung lebender Mann übertrug seiner Lebensgefährtin seinen Hälfteanteil an dem nach seinem Auszug allein von seiner Frau bewohnten Familienheim. Die Partnerin beantragte entsprechend einem mit dem Mann vorgefassten Plan die Teilungsversteigerung des Grundstücks, das der Ehefrau zu hälftigem Miteigentum gehörte. Das OLG Schleswig hielt die Veräußerung sowohl in schuldrechtlicher als auch in dinglicher Hinsicht für nichtig wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB), weil die einkommens- und im Übrigen vermögenslose Ehefrau infolge ihres Alters, Gesundheitszustandes und ihrer fehlender Berufsausbildung wirtsc...