Rz. 44

Führt die Anwendung der vorstehend geschilderten Kriterien zum Ergebnis, dass ein gemeinschaftliches Testament vorliegt, so haben die darin enthaltenen Erklärungen u.U. als einseitige einzeltestamentarische Verfügungen Bestand.[120] Entscheidend ist, ob die als gemeinschaftlich gewollten Erklärungen in einzeltestamentarische Verfügungen umgedeutet werden können. Die Bezeichnung der von den Erblassern unterzeichneten Erklärung als "Erbvertrag" oder "gemeinschaftliches Testament" steht einer Umdeutung nicht entgegen.[121] Eine in einem (unwirksamen) gemeinschaftlichen Testament enthaltene Verfügung ist in eine (wirksame) einzeltestamentarische Verfügung umzudeuten, wenn sie die Formerfordernisse eines Einzeltestaments erfüllt und wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser bei Kenntnis der Unwirksamkeit seine Verfügung als einseitige errichtet haben würde (§ 140 BGB).[122]

[120] Heute allgemeine Meinung; vgl. BayObLG v. 27.4.1993, 1Z BR 120/92, FamRZ 1993, 1370; Grüneberg/Weidlich, § 2265 Rn 3 m.w.N.; Staudinger/Raff, BGB, § 2265 Rn 13 ff.; Kanzleiter, DNotZ 1973, 133, 139 f.; ders., ZEV 1996, 306.

Zu beachten ist, dass bestimmte ausländische Rechtsordnungen, die das gemeinschaftliche Testament seinem Inhalt nach verbieten, auch eine Umdeutung in Einzeltestamente ausschließen; vgl. etwa für das italienische Recht Wiedemann/Pertot/Ballerini, Erbrecht in Italien, in: Süß, Erbrecht in Europa, Rn 175.

[121] Allg. Meinung; vgl. nur OLG Hamm v. 25.4.1996, 15 W 379/95, ZEV 1996, 304 m. Anm. Kanzleiter.
[122] Grüneberg/Ellenberger, § 140 Rn 10; Kanzleiter, DNotZ 1973, 133, 140; ders., ZEV 1996, 306, 307.

1. Einhaltung der Formvorschriften des Einzeltestaments

 

Rz. 45

Unabdingbare Umdeutungsvoraussetzung ist zunächst, dass die gesetzlichen Formvorschriften eines Einzeltestaments eingehalten sind.[123]

Wie oben ausgeführt, ist ein untaugliches gemeinschaftliches Nichtehegatten-Testament in der Form des § 2267 S. 1 BGB oder aber in der Weise denkbar, dass beide Partner wörtlich übereinstimmende Erklärungen unter Verwendung der Worte "wir" und "unser" abgeben. Hat ein Beteiligter das vom anderen verfasste Testament nur mitunterschrieben (untauglicher Versuch der Form des § 2267 S. 1 BGB), so hat er nicht wirksam testiert. Für eine Umdeutung ist dann kein Raum. Auch eine nachfolgende Heirat heilt den Formfehler nicht.[124] Dagegen ist die Erklärung des anderen Teils einer Umdeutung zugänglich, weil § 2265 BGB kein Umdeutungsverbot enthält.[125] Gleiches gilt selbstverständlich dann, wenn beide Testatoren (übereinstimmend) privatschriftliche letztwillige Verfügungen eigenhändig verfasst haben.

[123] Allgemeine Meinung; vgl. nur Grüneberg/Weidlich, § 2265 Rn 3; Kanzleiter, DNotZ 1973, 133, 140. Auch aus Billigkeitsgründen kann nicht von der gesetzlichen Form des Einzeltestaments (§ 2247 BGB) abgesehen werden; vgl. KG v. 5.12.1968, 1 W 4146/68, NJW 1969, 798; OLG Düsseldorf v. 26.7.1996, 3 Wx 278/96, FamRZ 1997, 518.
[124] Ganz h.M.; Grüneberg/Weidlich, § 2265 Rn 2; Soergel/Wolf, § 2265 Rn 5; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 24 I 4. a); Kanzleiter, FamRZ 2001, 1198; OLG Hamm v. 25.4.1996, 15 W 379/95, ZEV 1996, 304 m. Anm. Kanzleiter, allerdings ohne Erörterung der Thematik (die Lebensgefährten, die ein Testament in der Form des § 2267 S. 1 BGB errichteten, heirateten später); a.A. Wacke, FamRZ 2001, 457, 462 und möglicherweise OLG Düsseldorf v. 26.7.1996, 3 Wx 278/96, FamRZ 1997, 518: das angeblich vom Erblasser selbst wenige Tage vor seinem Tod mit der Überschrift "Gemeinschaftliches Testament" verfasste und von ihm und seiner Lebensgefährtin unterzeichnete Testament, in dem sich die Lebensgefährten gegenseitig zu Alleinerben einsetzen, hätte nach dem Willen des Erblassers nur und erst für den Fall der Verheiratung wirksam werden sollen. Zur Heirat kam es jedoch infolge des Todes des Erblassers nicht mehr.
[125] BayObLG v. 27.3.2001, 1Z BR 130/00, FamRZ 2001, 1563; MüKo-BGB/Musielak, § 2265 Rn 5; Lutter, FamRZ 1959, 273; a.A. noch RG v. 20.5.1915, Rep. IV. 699/14, RGZ 87, 33; OLG Neustadt v. 25.7.1958, 3 W 82/58, NJW 1958, 1785.

Einer Umdeutung bedarf es nicht, wenn der bloß mitunterzeichnete Lebensgefährte überhaupt nicht testieren wollte, sondern nur zum Ausdruck bringen wollte, dass er die Erklärung des anderen billigt oder zur Kenntnis nimmt.

2. Hypothetischer Wille zur Errichtung als einseitige Verfügung

 

Rz. 46

Eine Umdeutung setzt des Weiteren voraus, dass der Erblasser seine Verfügung als einseitige errichtet haben würde, wenn er deren Unwirksamkeit erkannt hätte (§ 140 BGB). Abzustellen ist auf den wirklichen Willen, soweit er ermittelt werden kann, sonst auf den hypothetischen Willen des Erblassers, der nach den Grundsätzen der ergänzenden Auslegung von Rechtsgeschäften zu ermitteln ist.[126] Eine von diesen Grundsätzen zu Unrecht abweichende vereinzelte Rechtsprechung lässt allerdings eine Ermittlung des Erblasserwillens vermissen und verneint eine Umdeutung mit Verweis darauf, dass die betreffende letztwillige Verfügung im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu einer Verfügung des anderen Testators stünde.[127] Es ist zwar richtig, dass auch Ve...

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