Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 21
§ 277 BGB: Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten
Wer nur für diejenige Sorgfalt einzustehen hat, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, ist von der Haftung wegen grober Fahrlässigkeit nicht befreit.
Rz. 22
Die Vorschrift des § 277 BGB ist im Kontext zu § 276 BGB zu sehen. Nach § 276 BGB hat der Schuldner grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses (insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos) zu entnehmen ist; § 276 Abs. 2 BGB enthält die Definition, dass fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Neben dieser einfachen Fahrlässigkeit gibt es im BGB zwei weitere Formen der Fahrlässigkeit, nämlich die grobe Fahrlässigkeit und die Fahrlässigkeit, die in der Verletzung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (diligentia quam in suis) besteht. Für einfache Fahrlässigkeit wird in der Regel gehaftet; eine eingeschränkte Haftung nach einem der beiden anderen Fahrlässigkeitsgrade tritt nur ein, soweit das durch Gesetz oder Parteiabrede bestimmt ist.
Rz. 23
§ 277 BGB regelt den Fall, dass bei der Haftung aus Fahrlässigkeit der individuelle Maßstab des Handelnden bis zur Grenze der groben Fahrlässigkeit gelten soll. Diesen Haftungsmaßstab, also eine ausnahmsweise Haftungsbeschränkung auf eigenübliche Sorgfalt, sieht das Gesetz in folgenden Bereichen vor: in § 690 BGB für den unentgeltlichen Verwahrer (wobei die Verwahrung in jeder Hinsicht unentgeltlich sein muss, woran es fehlt, wenn die Verwahrung lediglich die Nebenpflicht eines umfassenden entgeltlichen Vertrages ist), in § 708 BGB für den Gesellschafter, in § 1359 BGB für Ehegatten, in analoger Anwendung des § 1359 BGB auch für die nichteheliche Lebensgemeinschaft, in § 4 LPartG für Lebenspartner, in § 1664 BGB für Eltern, in § 2131 BGB für den Vorerben, aber auch in § 346 Abs. 3 Nr. 3 BGB für den kraft Gesetzes zum Rücktritt Berechtigten sowie für den zum Widerruf berechtigten Verbraucher, § 357 Abs. 1 BGB. Die Haftungserleichterung hatte früher ausschließlich ihren rechtspolitischen Grund in einer engen persönlichen Beziehung der Beteiligten, heute dient sie aber auch dazu, in Fällen des gesetzlichen Rücktritts- oder Widerrufsrechtes die Haftung des Berechtigten zu mildern. Da die engen, persönlichen Beziehungen zwischen den Gesellschaftern der Grund für die Haftungserleichterung des § 708 BGB sind, verbietet sich eine entsprechende Anwendung auf die Beteiligten einer Gemeinschaft und auch auf partiarische Rechtsverhältnisse oder auf die Organverwalter einer Publikumsgesellschaft, jedenfalls dann, wenn kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht oder auf einen nicht rechtsfähigen Verein mit größerer Mitgliederzahl.
Rz. 24
Die Verletzung der Sorgfaltspflicht bestimmt sich in den von dem Gesetz angesprochenen Fällen (abweichend von §§ 276 BGB nicht nach einem objektiven sondern) nach einem subjektiven Maßstab. Es ist auf das gewohnheitsmäßige Verhalten des Schädigers abzustellen. Ob es auch auf die Veranlagung des Betreffenden ankommt, ist streitig. Das wird jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn sich die Veranlagung in dem gewohnheitsmäßigen Verhalten des Schädigers niederschlägt. Zum Vergleich sollen ähnliche Situationen dargestellt werden, in denen der Schädiger sich entsprechend verhalten hat. Sein Verhalten in der konkreten Situation, die zu dem Unfall geführt hat, reicht demnach nicht aus.
Rz. 25
Die Haftungserleichterung, insbesondere des § 1359 BGB, gilt für sämtliche Haftungsgrundlagen, vertragliche, quasivertragliche und deliktische, aber nicht für die gemeinsame Teilnahme am Straßenverkehr und gemeinsam ausgeübten Freizeitsport. Nach § 1359 BGB haben die Ehegatten (für eingetragene Lebenspartner vgl. § 4 LPartG) bei Erfüllung der sich aus dem ehelichen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Zwar betrifft dieser Haftungsmaßstab anders als im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht nur Verpflichtungen, die mit dem ehelichen Güterrecht oder der Schlüsselgewalt zusammenhängen, sondern alle Verpflichtungen, die sich aus dem ehelichen Verhältnis ergeben. Gleichwohl handelt es sich gegenüber dem allgemeinen Haftungsmaßstab des § 276 BGB um eine Ausnahmevorschrift, die schon nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen ist. Es entspricht für Schadensfälle aus dem Straßenverkehr der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass sich ein Kraftfahrer, der unter Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften seinen Ehegatten an der Gesundheit oder im Eigentum schädigt, nicht auf den Sorgfaltsmaßstab des § 1359 BGB wie in eigenen Angelegenheiten berufen, also nicht geltend machen kann, dass er gewöhnlich in dieser Weise zu fahren bzw. Verkehrsvorschriften zu missachten pflege. Schon zuvor hatte der VI. Zivil...