Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 72
Der Tatbestand der Pflichtverletzung ist der zentrale Ausgangspunkt für die Schadensersatzverpflichtung. Das jeweilige "Pflichtenprogramm" ergibt sich aus den für das jeweilige Schuldverhältnis maßgebenden Normen. Von Bedeutung sind Leistungspflichten, Nebenleistungspflichten und Verhaltenspflichten. Nach der Art der Leistungsstörung werden drei Typen von Pflichtverletzungen unterschieden: Die Nichterfüllung einer vertraglichen oder gesetzlichen Leistungspflicht, die Schlechterfüllung und die Verletzung von Nebenpflichten. Angesichts der Vielfalt möglicher, vom jeweiligen Vertragstyp abhängigen Nebenpflichten können diese wiederum nur in nicht abschließenden Gruppen beschrieben werden, wie "Leistungstreuepflichten", "Mitwirkungspflichten", "Aufklärungspflichten" und die im vorliegenden Zusammenhang des Unfallhaftpflichtrechts besonders bedeutsamen "Schutzpflichten", die dahin gehen, sich bei Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Körper, Leben, Gesundheit, Eigentum und andere Rechtsgüter des anderen nicht verletzt werden. Ein Schuldverhältnis kann gem. § 241 Abs. 2 BGB nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Interessen des anderen Teils verpflichten. Der Inhalt solcher Schutz- und Rücksichtnahmepflichten ist bei Fehlen entsprechender Absprachen jeweils nach der konkreten Situation unter Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen zu bestimmen. § 241 Abs. 2 BGB und die an diese Vorschrift anknüpfenden Normen wie § 280 Abs. 1 BGB und § 278 BGB sind auf Schutzpflichten auch dann anzuwenden, wenn sie inhaltlich keine weiter gehenden Sorgfaltsanforderungen begründen als die deliktische Verkehrssicherungspflicht. Die Verkehrssicherungspflicht (vgl. dazu § 2 Rdn 267 ff.) ist im Rahmen eines vertraglichen Schuldverhältnisses zugleich Vertragspflicht. Besondere Verkehrssicherungspflichten können sich jedoch aus einer schuldrechtlichen Sonderbeziehung wie einem Vertragsanbahnungsverhältnis gemäß §§ 311, 241 BGB ergeben. Unter Umständen können die aus einer derartigen Sonderbeziehung folgenden Schutzpflichten sogar weiter gehen als die allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Bei der Verletzung der Pflicht, den – potentiellen – Vertragspartner unaufgefordert über entscheidungserhebliche Umstände zu informieren, ist zu differenzieren: Fällt die Aufklärungspflicht und ihre Verletzung in die Phase der Vertragsverhandlungen, so haftet der Aufklärungspflichtige aus culpa in contrahendo (siehe dazu unten Rdn 92 ff.); ab Vertragsschluss kommt als Anspruchsgrundlage ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus Pflichtverletzung gemäß § 280 BGB in Betracht.
Rz. 73
§ 280 Abs. 1 BGB knüpft als Schadensgrundnorm an die Pflichtverletzung an. Ob der Schuldner diese Pflichtverletzung zu vertreten hat, ob ihn insbesondere ein Verschulden trifft, ist für das Vorliegen des Tatbestands einer Pflichtverletzung unerheblich; entscheidend ist allein die objektive Sachlage. Die Beweislast für die objektive Pflichtverletzung und ihre Kausalität für den Schaden trägt der Gläubiger. Insbesondere bei verhaltensbezogenen Pflichten muss der Gläubiger den vollen Beweis der behaupteten Pflichtverletzung führen. Bei erfolgsbezogenen Pflichten kann sich der erforderliche Beweis der Pflichtverletzung indessen bereits aus der Tatsache ergeben, dass die Leistung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht obligationsmäßig erbracht wurde. Trifft den Schuldner nach dem Vertragsinhalt die Pflicht, einen Schaden wie den entstandenen zu verhindern, so wird durch den Nachweis des Schadens zugleich die Pflichtverletzung bewiesen. Abweichend von der Beweislastverteilung, nach der grundsätzlich der Gläubiger die Beweislast dafür trägt, dass der Schuldner eine Pflichtverletzung begangen hat, kann ausnahmsweise unmittelbar von dem Eintritt eines Schadensfalls auf eine Pflichtverletzung des Handelnden geschlossen werden, wenn der Gläubiger darlegt und beweist, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners herrühren kann; bleibt jedoch ungeklärt, ob die Schadensursache der Risikosphäre des Schuldners (im konkreten Fall: eine technische Fehlfunktion der Waschanlage) oder der des Gläubigers (hier: unzulässige Tieferlegung des Fahrzeugs) zuzurechnen ist, kann sich der Gläubiger nicht auf diese Beweiserleichterung berufen.
Rz. 74
Die Pflichtverletzung muss der Geschädigte auch dann beweisen, wenn die Verletzung einer Aufklärungs- oder Beratungspflicht behauptet wird. Wer Beratungs- und Aufklärungspflichten verletzt, muss allerdings seinerseits den Nachweis erbringen, dass auch bei hinreichender Aufklärung derselbe Schaden eingetreten wäre. Das gilt auch, wenn jemand die Aufklärung der Schadensursache arglistig verhindert. Besteht in dem Verantwortungsbereich des Schuldners ein verkehrsunsicherer Zustand, so trägt er die entsprechende Entlastungs-Beweislast.