Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 13
Dass entgegen der Vorschrift des § 276 BGB ein Arbeitnehmer nicht für jede Form des Verschuldens haftet, sondern hier eine Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens vorzunehmen ist, ist eine Auffassung, die die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts, entwickelt hat. Auf dem Gebiet des Arbeitsrechts hat infolge der lückenhaften Regelung durch das Gesetz die Rechtsprechung ohnehin einen etwas anderen Stellenwert als in anderen Bereichen. Ob man die Haftungserleichterung, die dem Arbeitnehmer zugutekommt, aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers herleitet oder aus einer angemessenen Risikoverteilung, kann dahingestellt bleiben. Eine plausible rechtsdogmatische Begründung ergibt sich jedenfalls auch aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer in fremder Sphäre und im fremden Interesse tätig wird und nicht wie der Arbeitgeber über die Schadensvorsorge disponieren kann; er vermag den arbeitsspezifischen Gefahren weder rechtlich noch tatsächlich auszuweichen.
Rz. 14
Die richterrechtlich entwickelte Haftungsmilderung besteht im Arbeitsrecht – entgegen der früher vertretenen allgemeinen Meinung – nicht nur für den Bereich schadensgeneigter Arbeit, sondern betrifft die gesamte betriebliche Tätigkeit. Sie gilt aber nur für Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, nicht für Ansprüche Dritter. Nach der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats des BAG aus dem Jahre 1957 wird von einer schadens- oder gefahrengeneigten Arbeit dann gesprochen, wenn die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Arbeit es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, dass auch dem sorgfältigen Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die für sich allein betrachtet zwar jedes Mal vermeidbar wären, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit als mit einem "typischen Abirren" der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen ist. Der Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der Gefahrengeneigtheit bedeutet freilich nicht, dass der Arbeitnehmer bei jedem durch ihn verursachten Schaden in den Genuss der Haftungsprivilegierung kommt. Um den Arbeitgeber nicht mit dem allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers zu belasten, muss die Tätigkeit, die zum Schaden geführt hat, nach Auffassung des Großen Senats nunmehr aufgrund des Arbeitsverhältnisses betrieblich veranlasst sein.
Rz. 15
Die Grundsätze der Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung gelten sachlich gleichermaßen für vertragliche wie auch deliktische Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer. Sie finden keine Anwendung auf die deliktische Außenhaftung des Arbeitnehmers gegenüber betriebsfremden Dritten. Sie sind auch auf die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss anzuwenden. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass eine strengere Haftung aus unerlaubter Handlung nicht eingreift, wenn eine vertragliche Haftung beschränkt ist. Im Übrigen resultiert die Haftungsprivilegierung aus dem besonderen betrieblichen Risiko, sie gilt folglich nicht für außerbetriebliche Tätigkeiten. Die Tätigkeit muss eben betrieblich veranlasst sein. Unternimmt zum Beispiel ein Arbeitnehmer mit dem Kraftfahrzeug des Arbeitgebers eine Schwarzfahrt, so haftet er für eventuelle Schäden nach den allgemeinen Regeln des Haftungsrechts. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer auf einer Dienstfahrt Umwege für private Zwecke fährt, wobei jedoch Ausnahmen infrage kommen. Je geringer der Verschuldensgrad ist, desto eher wird für den Arbeitnehmer eine Haftungserleichterung oder gar ein Haftungsausschluss infrage kommen. Maßgeblich sind hierbei insbesondere die Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts und das konkrete Schadensrisiko der Tätigkeit. Zur Beurteilung des Verschuldensgrades des Arbeitnehmers ist ferner Folgendes zu berücksichtigen: Im BGB gilt kein individueller, sondern ein auf das Verkehrsbedürfnis ausgerichteter objektiver Sorgfaltsmaßstab. Dies folgt aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes, das heißt, jeder muss darauf vertrauen können, dass der andere die für die Erfüllung seiner Pflichten erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt. Das Maß der objektiven Sorgfalt wird nach Gruppen differenziert. Die erforderliche Sorgfalt ist nach dem Verkehrskreis und somit im Arbeitsverhältnis nach der vertraglich vereinbarten Stellung abzugrenzen. Von einem leitenden Angestellten ist höhere Sorgfalt zu erwarten als von einem einfachen Arbeiter. Von einem Berufsanfänger kann nicht ebenso viel wie von einem Routinier verlangt werden, hier sind typische Anfängerfehler zu berücksichtigen. Auch das Alter oder der Grad einer Behinderung des Arbeitnehmers kann sich auf das Fahrlässigkeitsurteil auswirken. Ansonsten kann aber auch ein Übernahmeverschulden vorliegen, wenn sich die betreffende Person unbedacht Gefahren aussetzt, die sie nicht mehr zu beherrschen vermag.
Rz. 16
In Fortentwicklung der oben (Rdn 14) bereits thematisierten grundlegenden Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1957 wurde ein differe...