Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 1
Bei Unfällen spielt neben den in den vorhergehenden Kapiteln dargestellten gesetzlichen Anspruchsgrundlagen der Haftung aus unerlaubter Handlung oder der Gefährdungshaftung auch eine Haftung aus Vertrag eine nicht unerhebliche Rolle. Vertrag ist die von zwei oder mehr Personen erklärte Willensübereinstimmung über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges. Vertragliche Haftung für Unfallfolgen setzt voraus, dass wenigstens eine der Personen, die in vertragliche Beziehung zueinander getreten sind, die Haupt- oder Nebenpflicht traf, für den Nichteintritt eines Unfall(schaden)s Sorge zu tragen und diese Pflicht verletzt wurde. Demgegenüber benötigt die Haftung aus Delikt oder aus einem gesetzlichen Gefährdungshaftungstatbestand keinerlei bereits vor der Verletzung bestehende Sonderbeziehung unter den Beteiligten. Dies wird am Beispiel der persönlichen Haftung des Gehilfen deutlich: Handelt ein Erfüllungsgehilfe des Schuldners (also eines der Vertragspartner) vertragswidrig, dann haftet der Schuldner (§ 278 BGB), nicht aber der Gehilfe. Demgegenüber hat der Gehilfe bei einer unerlaubten Handlung in der Regel auch selbst einzustehen. Denn die Pflicht, fremde Güter zu achten, trifft prinzipiell jedermann.
Rz. 2
Vertragliche Haftung kommt regelmäßig nur bei Verschulden in Betracht. Gemäß § 276 Abs. 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist. Schuldunabhängige Einstandspflichten bestehen für das Verschulden von gesetzlichen Vertretern und Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) und die finanzielle Leistungsfähigkeit und sie können sich beispielsweise aus Garantien oder der Übernahme von Beschaffungsrisiken ergeben. Das Deliktsrecht geht ebenfalls vom Verschuldensprinzip aus. Wegen der Ausnahmen – z.B. bei der Billigkeitshaftung gemäß § 829 BGB – vgl. § 2 F. Wegen des Systems vertraglicher und gesetzlicher Schuldverhältnisse vgl. auch § 1 Rdn 4 ff.
Rz. 3
Die Vertragshaftung schließt die Haftung aus unerlaubter Handlung und Gefährdungshaftung nicht aus, sondern tritt neben sie. Bei dem Zusammentreffen eines Schadensersatzanspruchs aufgrund einer Verletzung einer vertraglich begründeten Pflicht mit einem Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung handelt es sich um eine echte Anspruchskonkurrenz, die sich aus dem gleichen Rangverhältnis von Delikts- und Vertragsrecht ergibt. Das hat zur Folge, dass jeder Anspruch nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Durchsetzung selbstständig zu beurteilen ist und seinen eigenen Regeln folgt. Ausnahmen hiervon kommen nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Sie sind bejaht worden, wenn einer gesetzlichen Einschränkung der Vertragshaftung zu entnehmen ist, dass hierdurch ein Sachverhalt erschöpfend geregelt sein soll, oder wenn die Möglichkeit des Geschädigten, nach einem Ausschluss mit seinem vertraglichen Schadensersatzanspruch auf den aus demselben Sachverhalt hergeleiteten deliktischen Anspruch auszuweichen, jedenfalls den Zweck einer für den vertraglichen Schadensersatzanspruch geltenden gesetzlichen Vorschrift vereiteln und diese gesetzliche Regelung im Ergebnis aushöhlen würde, wie es etwa der Fall sein kann, wenn die Anerkennung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs die durch ein gesetzliches Erfordernis einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung eröffnete Möglichkeit des Unternehmers vereitelt, zunächst selbst für die Beseitigung eines Werkmangels Sorge zu tragen. Dass nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen vertragliche Ansprüche und deliktische Ansprüche selbstständig zu beurteilen sind, wird unter anderem praktisch relevant bei der unterschiedlichen Haftung für Hilfspersonen (§ 278 BGB bei Verträgen und § 831 BGB bei unerlaubten Handlungen), ferner im Hinblick auf die teilweise unterschiedlichen Regelungen für den Ausgleich immaterieller Schäden (vgl. dazu auch unten Rdn 46), die Verjährung, den Ausschluss von Ansprüchen oder die Beweislast.
Rz. 4
Die Vertragshaftung ist teilweise restriktiver, teilweise geht sie weiter. Die Reform-Gesetzgebung seit dem Jahre 2000 hat tendenziell zu einer Angleichung des Vertrags- und des Deliktsrechts geführt. Sowohl das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz mit der Einführung von Schmerzensgeld im Rahmen der Vertragshaftung (vgl. dazu § 17) als auch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz haben eine stärkere Harmonisierung der Regelungen für Vertragshaftung und Deliktshaftung (zum Beispiel bei der Verjährung, siehe dazu § 21) herbeigeführt. Eine völlige Gleichstellung war und ist indessen nicht geplant. Die Differenzierung hat auch weiterhin ihren Sinn. Dabei wird der stärkeren Gewichtung von Personenschäden – gegenüber Sachschäden – Rechnung getragen. Zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung bestehen mitunter Wechselwirkungen. So gelten gesetzliche Beschränkungen vertraglicher H...