Stephan Kohlhaas, Phillip Hartmann
Rz. 94
Die Haftung des Anwalts ist keineswegs auf seinen Mandanten begrenzt; auch Dritte können ihn durchaus unter bestimmten Voraussetzungen auf Erstattung eines ihnen entstandenen Schadens in Anspruch nehmen, sog. Dritthaftung.
Rz. 95
Dabei muss sich der Anwalt bewusst sein, dass er gerade in der interprofessionellen Sozietät mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern deren – auch in Bezug auf Dritthaftungsfälle – deutlich höhere Haftungsrisiken gesamtschuldnerisch mitzutragen hat.
Rz. 96
Der Rechtsanwalt haftet auch Dritten gegenüber, die nicht seine Mandanten sind. Diese Haftung kommt in Betracht aus Gesetz (§§ 823 Abs. 2, 826 BGB) oder aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bzw. der Fiktion eines Auskunftsvertrages.
Die Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setzt voraus, dass der Dritte mit der vertraglich geschuldeten Hauptleistung bestimmungsgemäß in Berührung kommen muss. Der Gläubiger muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben. Die Einbeziehung des Dritten muss dem Vertragsschuldner bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein. Schließlich bedarf es eines Bedürfnisses für die Ausdehnung des Vertragsschutzes, das regelmäßig fehlt, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt.
Der Geschäftsführer einer GmbH kann in den Schutzbereich eines Mandatsvertrages mit der GmbH einbezogen sein. Der BGH hat dies bezüglich des Auftrags eines Steuerberaters festgestellt, der auf die Prüfung der Insolvenzreife einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausgerichtet war. Ausgangspunkt des Drittschutzes war damit die vertragliche Hauptpflicht.
Auch die Hinweis- und Warnpflicht eines Rechtsanwalts bei möglichem Insolvenzgrund kann eine drittschützende Wirkung zugunsten des Geschäftsführers einer GmbH entfalten, wenn der Rechtsanwalt von der GmbH mit der Beurteilung oder Bearbeitung einer Krisensituation beauftragt war.
Rz. 97
Die Haftung des Anwalts gegenüber Dritten kann im Einzelfall auf Delikt beruhen, was besonders zu beachten ist im Kontext mit einer Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung (siehe dort unter Rdn 88 ff.).
Beispiel: "Die aufgeschwatzte Parzelle"
Der Anwalt verkaufte als Bevollmächtigter eines Schweizer Immobilieneigners einem Kraftfahrer und einer Küchenhilfe ein Grundstück zu einem Preis, der 400 % über dem wirklichen Wert lag. Er haftete hierfür nach § 826 BGB. Leichtfertiges Handeln des Anwalts genügte dem Gericht zur Begründung seiner Haftung.
Rz. 98
Der Anwalt haftet Dritten, zu denen er keine vertraglichen Beziehungen unterhält, ferner aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung, wenn er an einem Prospekt mit unwahren Angaben mitgewirkt hat, es sei denn, er würde dort nicht erwähnt und wäre auch nicht den Umständen nach ohne Namensnennung identifizierbar; Voraussetzung für die Haftung des Anwalts ist aber eine erkennbare Mitwirkung des Anwalts am Prospekt, der mit dieser Mitwirkung einen Vertrauenstatbestand schafft.
Rz. 99
Die sog. Prospekthaftung ist ein von der Rechtsprechung insbesondere für den Bereich des Kapitalanlagegeschäfts entwickeltes Rechtsinstitut. Zu unterscheiden ist die spezialgesetzlich geregelte Prospekthaftung, die zivilrechtliche Prospekthaftung im engeren Sinne einerseits und im weiteren Sinne andererseits sowie die deliktische Prospekthaftung. Typischer Auslöser von Prospekthaftungsansprüchen auf spezialgesetzlicher Grundlage oder wegen zivilrechtlicher Prospekthaftung im engeren Sinne ist regelmäßig ein Hinweis im Verkaufsprospekt auf die "erfolgte Prüfung durch einen namhaften Berufsträger", dessen Name aus berufsrechtlichen Gründen nicht genannt wird. Dieser Hinweis erfolgt auch nach Überzeugung der Rechtsprechung zu Werbezwecken. Anspruchsteller ist nicht der Initiator/Auftraggeber, sondern Dritte (Anleger), die in keinem unmittelbaren Rechtsverhältnis zum Rechtsanwalt als Prospektersteller oder -prüfer im Auftrag des Initiators stehen. Deren Ansprüche auf "Verlustausgleich" direkt gegen den Rechtsanwalt werden gestützt auf dessen Garantenstellung.
Praxistipp
Der Anwalt wird in derartigen Fällen (gleichermaßen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater) als Garantiegeber bzw. "Bürge" in die Erfüllungsverantwortung genommen für die (später) nicht eingehaltenen Versprechen des Initiators, die dieser mangels entsprechenden Kapitals nicht oder nicht mehr erfüllen kann. Es besteht kein Versicherungsschutz über die Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts, da es sich um Garantie- bzw. Erfüllungshaftung handelt. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang ergänzend auf Teil 1 A § 4 Ziff. 2 AVB, der Ansprüche, "die … über den Umfang der gesetzlichen Haftpflicht hinaus gehen" von der Deckung ausschließt.
Rz. 100
Jedenfalls dann, wenn zwischen dem Geschädigten und dem Mandanten keine gegenläufigen Interessen bestehen, nimmt die Rechtsprechung aber in ...