Stephan Kohlhaas, Phillip Hartmann
Rz. 158
Für die Berufs-Haftpflicht typisch ist es, dass Haftpflichtansprüche nicht sofort geltend gemacht werden (können), weil sich der durch eine anwaltliche Pflichtverletzung verursachte Schaden oftmals erst nach mehreren Jahren zeigt; bei Anwälten ist dies durchschnittlich ein Zeitraum von drei bis vier Jahren, der sich aber auch auf bis zu 15 und mehr Jahre ausdehnen kann. Übersieht beispielsweise ein Anwalt, der seinen Mandanten im Rahmen einer Ehescheidung berät, einen wesentlichen Punkt betreffend den Versorgungsausgleich, so kann sich ein solcher Fehler unter Umständen erst in Jahrzehnten auswirken und wird erst dann von dem Mandanten wahrgenommen. Deckung besteht grundsätzlich, immer ausgehend vom Zeitpunkt der Pflichtverletzung des Anwalts, um so mögliche Schadensersatzansprüche geschützter Dritter nicht zeitlich ins Leere laufen zu lassen.
Der Versicherungsfall in der Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts, Wirtschaftsprüfers, Steuerberaters und Notars ist der Verstoß, der Haftpflichtansprüche zur Folge haben könnte. Unter dem Verstoß versteht der Gesetzgeber gem. § 51 BRAO die Pflichtverletzung des Anwalts. Diese allein ist Anknüpfungspunkt für den Versicherungsschutz. Grundsätzlich unbeachtlich für den Versicherungsschutz ist daher der Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte seinen Anspruch geltend macht, mag dies auch erst Jahre nach Aufgabe der Berufstätigkeit bzw. Rückgabe der Zulassung geschehen. Für die Haftung des Anwalts seinem Mandanten gegenüber kann der Zeitpunkt der Geltendmachung sehr wohl relevant werden, nämlich dann, wenn dieser ggf. bereits gem. §§ 194 ff. BGB verjährt sein könnte.
Beispiel
Macht der Mandant im Jahre 2025 einen Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt geltend, weil dieser ihn im Jahr 2008 beim Entwurf eines Gesellschaftsvertrages oder im Rahmen einer güterrechtlichen Angelegenheit pflichtwidrig falsch beraten habe, bestimmt sich der Umfang des Versicherungsschutzes ausschließlich nach dem Zeitpunkt des Verstoßes (im Beispiel: 2008). Es ist völlig unerheblich für die Deckung, ob der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt der Inanspruchnahme (2025) noch Anwalt ist, oder der Anspruch evtl. gegen die Erben des ehemaligen Versicherungsnehmers geltend gemacht wird.
Unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten kann bei derartigen "Langläufern" ggf. eingewandt werden, dass der Anspruch des Mandanten gegen den Anwalt bereits verjährt ist.
Hat der Anwalt im Beispielsfall den Versicherungsvertrag mit dem Versicherer A zum 1.1.2010 gekündigt und ist ab diesem Zeitpunkt zum Versicherer B gewechselt, so bleibt wegen des Verstoßprinzips gleichwohl der Versicherer A verpflichtet, für diesen Fall bedingungsgemäß Versicherungsschutz zur Verfügung zu stellen.
Konsequenterweise folgt aus dem Verstoßprinzip, dass auch der Deckungsumfang (Bedingungen und Deckungssummen) für den Versicherungsschutz maßgeblich ist, der für die Zeit vor dem Versichererwechsel vereinbart war.
Hat der Anwalt mit dem Versichererwechsel gleichzeitig – also ab 1.1.2010 – seine Deckungssumme je Versicherungsfall von zuvor 1 Mio. EUR auf 5 Mio. EUR angehoben, gilt im Beispielsfall gleichwohl die "alte" Deckungssumme (1 Mio. EUR).
Sollte sich der Schaden des Mandanten durch die besagte Pflichtverletzung des Anwalts im konkreten Beispiel auf 5 Mio. EUR belaufen, würde ihm der Versicherer A lediglich die zum Verstoßzeitpunkt vereinbarte Deckungssumme von 1 Mio. EUR zur Verfügung stellen. Versicherer B hätte sich – wie schon erläutert – mit diesem Schadenfall nicht zu befassen (zum insoweit möglichen Abschluss einer Rückwärtsversicherung, siehe unten Rdn 160).