Stephan Kohlhaas, Phillip Hartmann
Rz. 60
Verletzt der Anwalt eine Pflicht aus dem Mandatsverhältnis, kann der aufgrund dessen zu Schaden gekommene Mandant seinen Anwalt aus § 280 Abs. 1 BGB (Haftung wegen Pflichtverletzung) auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.
In einem arbeitsteiligen Büro kann der Anwalt nicht jede Tätigkeit selbst ausführen, die mit der Bearbeitung des Mandats verbunden ist. Er bedient sich hierbei seines Personals (vgl. hierzu bereits "Organisation des Büros", siehe Rdn 45 ff.). Auch Gehilfen, juristischen Mitarbeitern und sonstigem Kanzleipersonal können Fehler unterlaufen, für die der Anwalt einzustehen hat.
Rz. 61
Eine Pflicht zum Schadensersatz trifft den Anwalt aber nur, wenn seine Pflichtverletzung oder das ihm zugerechnete Versehen eines Dritten schuldhaft und für den Schaden auch kausal war.
Bei der Feststellung des Verschuldens legt die Rechtsprechung einen objektiv-typisierten Maßstab an. Der Anwalt muss die an einen durchschnittlichen, gewissenhaften und erfahrenen Anwalt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen erfüllen, wenn er seine Haftung vermeiden will, anderenfalls fällt ihm zumindest Fahrlässigkeit zur Last.
Rz. 62
Für Notare hat die Rechtsprechung den Begriff des "pflichtbewussten Durchschnittsnotars" geprägt; für Anwälte gilt im Zweifel der gleiche Maßstab, und dem Anforderungsprofil des "pflichtbewussten Durchschnitts-Anwalts" hat man zu entsprechen, wenn man ausschließen möchte, irgendwann haften zu müssen.
Rz. 63
Erwartet wird vom Anwalt, dass er die juristischen Probleme erkennt, die sich aus dem ihm unterbreiteten (und von ihm möglicherweise nachrecherchierten) Sachverhalt ergeben, dass er die von Rechtsprechung und Fachliteratur hierzu angebotenen Lösungen erkennt und entsprechend handelt bzw. zu einem entsprechenden Handeln rät (siehe auch Rdn 23 ff.).
Bei krankheitsbedingten Frist- und Terminversäumungen muss der säumige Rechtsanwalt alles Zumutbare für die Rechtzeitigkeit seines Erscheinens oder die Vertretung seiner Partei im Termin getan haben, um dem Verschuldensvorwurf zu entgehen.
Rz. 64
Der Schadensersatzanspruch setzt weiter einen adäquaten Kausalzusammenhang (haftungsausfüllende Kausalität) zwischen der Pflichtverletzung des Rechtsanwalts und dem geltend gemachten Schaden voraus. An einem adäquaten Kausalzusammenhang fehlt es grundsätzlich, wenn der Mandant ohne die anwaltliche Pflichtverletzung in einem Rechtsstreit den Prozess ohnehin – aus anderen Gründen – verloren hätte. Wird dem Anwalt ein Unterlassen vorgeworfen, muss untersucht werden, wie z.B. ein vermeintlich fehlerhaft geführtes Verfahren bei pflichtgemäßem Handeln des Anwalts ausgegangen wäre. Dabei ist ein Schaden nur dann schlüssig vorgetragen, wenn der geschädigte Mandant im Einzelnen darlegt, wie sich seine Vermögenslage bei richtiger Beratung oder Prozessvertretung durch den Anwalt gestaltet hätte.
Anders als bei der Versäumung von Fristen oder entsprechenden prozessualen Fehlern ergeben sich bei unterlassenem Hinweis/Rat oder Falschberatung in der Praxis zunehmend Beweisprobleme, wenn der Mandant – der Rechtsprechung folgend – behauptet, eine andere, konkret beschriebene Gestaltung hätte zu einer rechtlich besseren Position und im Ergebnis zu einer wirtschaftlich günstigeren Umsetzung seiner Vorstellungen geführt. Behauptet der Mandant mehrere Alternativszenarien, wenn er pflichtgemäß beraten worden wäre, so muss er grundsätzlich den Weg bezeichnen, für den er sich entschieden hätte, es sei denn, er legt dar, sämtliche Wege hätten ein vollkommen gleiches Ergebnis erbracht, so dass sich im jeweiligen Gesamtvermögensvergleich identische Schadensbilder ergeben hätten.
In der maßgeblichen Frage, wie sich der Mandant bei richtiger Beratung verhalten hätte, wird zu seinen Gunsten vermutet, dass er vernünftigerweise einem guten oder besseren Rat gefolgt wäre. Wenn hingegen verschiedene vernünftige Handlungsalternativen bestanden, was nicht allein vom rein monetären Ergebnisvergleich abhängt, entfällt dieser Anscheinsbeweis. Der Tatrichter hat unter Berücksichtigung dieser Beweislastfragen zu prüfen, ob die ursprünglichen, persönlichen Motive des Mandanten mit der behaupteten Alternativgestaltung im Einklang stehen. Gelingt es dem Rechtsanwalt, die Möglichkeit eines untypischen Geschehensablaufs schlüssig darzulegen, erschüttert er den sog. Beweis des ersten Anscheins (s.o.), und den Mandanten trifft wieder der volle Kausalitätsbeweis.
Die Feststellung, ob dem Mandanten infolge der Pflichtverletzung des Anwalts ein Schaden entstanden ist, gehört zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Mandant zu beweisen hat (§ 287 ZPO); eine Umkehr der Beweislast findet selbst bei grober Fahrlässigkeit des Anwalts nicht statt, da es allein in der Sphäre des Mandanten liegt, wie er sich verhalten hätte. Dem Mandanten kommt allerdings der Beweis des ersten Anscheins zugute, dass er sich beratungsgerecht verhalten hätte; außerdem hilft ihm das herabgesetzte Beweismaß...