Rz. 156

BGH, Urt. v. 20.11.2007 – VI ZR 8/07, zfs 2008, 256 = DAR 2008, 137

Zitat

StVO §§ 42 Abs. 4a (Zeichen 325/326), 8 S. 1, 10

Die besonderen Pflichten des § 10 S. 1 StVO gelten für den Fahrer, der einen verkehrsberuhigten Bereich verlässt, auch dann, wenn das Zeichen 326 (Ende) nicht unmittelbar im Bereich der Einmündung oder Kreuzung, sondern einige Meter davor aufgestellt ist. Entscheidend ist, ob das Einfahren in eine andere Straße bei objektiver Betrachtung noch als Verlassen des verkehrsberuhigten Bereichs im Sinne des § 10 StVO erscheint. Dies ist in der Regel zu bejahen, wenn das Zeichen 326 nicht mehr als 30 m vor der Einmündung oder Kreuzung aufgestellt ist und keine konkreten Anhaltspunkte eine abweichende Beurteilung rechtfertigen.

a) Der Fall

 

Rz. 157

Im Januar 2006 befuhr der Kläger mit seinem Pkw eine durch Verkehrszeichen 325/326 geregelte verkehrsberuhigte Zone, wobei in seiner Fahrtrichtung das Verkehrsschild 326 (Ende) in einer Entfernung von etwa 10 Metern vom Einmündungsbereich der Straße in eine Querstraße stand. Auf dieser näherte sich von links der bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherte Pkw der Beklagten zu 1. Im Einmündungsbereich kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge, wobei der Pkw des Klägers beschädigt wurde. Der Kläger verlangte von den Beklagten vollen Ersatz seines Sachschadens.

 

Rz. 158

Die Parteien stritten darum, ob die Beklagte zu 1 das Vorfahrtsrecht des von rechts kommenden Klägers verletzt hatte, weil die verkehrsberuhigte Zone bereits 10 Meter vor der Einmündung endete, oder ob der Kläger unter Verletzung des Vorfahrtsrechts der Beklagten zu 1 aus der noch bis zum Einmündungsbereich fortbestehenden verkehrsberuhigten Zone ausgefahren war.

 

Rz. 159

Das Amtsgericht ist der letztgenannten Ansicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverursachungsanteils des Klägers von 25 % teilweise stattgegeben. Dagegen richtete sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 160

Nach Auffassung des Berufungsgerichts verstieß die Beklagte zu 1 gegen § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, da sie die Vorfahrt des Klägers nicht beachtete. Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, wann der nach dem Ausfahren aus einer durch Verkehrszeichen 326 (verkehrsberuhigte Zone) geregelte Bereich ende, sei dahin zu beantworten, dass ab dem konkreten Standpunkt des Verkehrsschildes Zeichen 326 die allgemeinen Verkehrsregeln gälten.

 

Rz. 161

Diese Ausführungen hielten den Angriffen der Revision nicht stand.

§ 42 Abs. 4a StVO normiert für verkehrsberuhigte Bereiche, die durch Zeichen 325 (Beginn) und 326 (Ende) gekennzeichnet werden, bestimmte Rechte und Pflichten der Fußgänger und der Kraftfahrer. Darüber hinaus hat nach § 10 S. 1 StVO derjenige, der aus einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325/326) auf die Straße einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Problematisch ist, dass für Kraftfahrer in Einmündungs- oder Kreuzungsbereichen je nach den Umständen nicht ausreichend klar erkennbar sein kann, ob die Verhaltensanforderung des § 10 S. 1 StVO gilt oder die des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, wonach an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt hat, wer von rechts kommt. Die Verwaltungsvorschrift zu § 42 Abs. 4a StVO bestimmt, das Zeichen 326 sei höchstens 30 m vor der nächsten Einmündung oder Kreuzung aufzustellen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein Kraftfahrer, der einen verkehrsberuhigten Bereich verlässt, dessen Verlassen im Einzelfall aufgrund der spezifischen Gestaltung des konkreten Straßenbereichs nicht mehr als Ausfahrt aus einem verkehrsberuhigten Bereich erkennt.

 

Rz. 162

Deshalb könnte für die Ansicht des Berufungsgerichts, ab dem konkreten Standpunkt des Verkehrsschildes gälten die allgemeinen Verkehrsregeln, der Gesichtspunkt einer klaren Regelung sprechen. Der erkennende Senat hielt diese Ansicht nicht für richtig. Bezogen auf die Verhaltensanforderungen des § 10 StVO hat das Zeichen 326 eine die Vorfahrt regelnde Bedeutung. Die sich aus dieser Regelung ergebenden Verpflichtungen enden nicht generell auf der Höhe des Verkehrsschildes. Sie enden vielmehr in der Regel erst dann, wenn sich das Gebot aktualisiert, beim Einfahren aus einem verkehrsberuhigten Bereich in eine andere Straße eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Dies ist regelmäßig an der nächsten Einmündung oder Kreuzung nach Ende des verkehrsberuhigten Bereichs der Fall.

 

Rz. 163

Die abweichende Ansicht berücksichtigt nicht ausreichend, dass im vorliegenden Zusammenhang nicht der Begrenzung des verkehrsberuhigten Bereichs, sondern der vorfahrtregelnden Wirkung des Zeichens 326 entscheidende Bedeutung zukommt. Diese Wirkung kann nicht davon abhängen, ob das Zeichen unmittelbar im Einmündungs- bzw. Kreuzungsbereich steht oder einige Meter davor. Dass es unmittelbar im Einmündungs- oder Kreuzungsbereich aufgestellt ist, wird eher selte...

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