Rz. 520
Zitat
§ 17 StVG, § 9 Abs. 5 StVO, § 10 S. 1 StVO
"Anderer Verkehrsteilnehmer" im Sinne der § 9 Abs. 5, § 10 Satz 1 StVO ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Darunter fällt nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern jedenfalls auch derjenige, der auf der anderen Straßenseite vom Fahrbahnrand anfährt.
a) Der Fall
Rz. 521
Die Klägerin nahm die Beklagten auf Ersatz weiteren Sachschadens nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug vorwärts auf einem rechtwinklig zur Fahrbahn angeordneten Parkplatz geparkt. Der Beklagte zu 2 hatte sein von dem Beklagten zu 1 gehaltenes und bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichertes Fahrzeug am gegenüberliegenden Fahrbahnrand entgegen der Fahrtrichtung abgestellt; vor seinem Fahrzeug stand ein weiteres Fahrzeug. Die Klägerin parkte rückwärts in einem Linksbogen mit der Absicht aus, sodann auf der Gegenfahrbahn in Fahrtrichtung weiterzufahren. Dabei kollidierte sie mit dem Beklagten zu 2, der ebenfalls rückwärts fuhr, um ausparken zu können. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes befand sich das Fahrzeug des Beklagten zu 2 noch in Rückwärtsbewegung.
Rz. 522
Vorgerichtlich regulierte die Beklagte zu 3 die der Höhe nach nicht mehr in Streit stehenden Schadenspositionen der Klägerin auf der Grundlage einer Haftungsquote von einem Drittel zu deren Lasten. Mit ihrer Klage macht die Klägerin – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – die restlichen zwei Drittel geltend.
Rz. 523
Das Amtsgericht hat der Klage auf der Grundlage einer Haftungsquote von 50 % teilweise stattgegeben. Die Berufung der Klägerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihre Ansprüche (Zahlung von weiteren 889,91 EUR zuzüglich Zinsen und Freistellung von Anwaltskosten) weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 524
Die Revision war unbegründet.
Die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG ist – wie im Rahmen des § 254 BGB – Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden.
Rz. 525
Nach diesen Grundsätzen waren die Erwägungen des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden.
Frei von Rechtsfehlern hatte das Berufungsgericht auch der Klägerin im Verhältnis zum Beklagten zu 2 einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5, § 10 S. 1 StVO zur Last gelegt. Nach § 9 Abs. 5 StVO hat sich der Führer eines Fahrzeugs beim Rückwärtsfahren, nach § 10 S. 1 StVO derjenige, der von einem Straßenteil – hier einem Parkplatz – auf die Fahrbahn einfährt, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. "Anderer Verkehrsteilnehmer" ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Darunter fällt zwar "primär" (Senatsurt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 Rn 11) und "insbesondere" (BGH, Urt. v. 25.4.1985 – III ZR 53/84, NJW-RR 1986, 189, 190), aber nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern jedenfalls auch derjenige, der – wie hier der Beklagte zu 2 – auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2016, 352 Rn 15; LG Heidelberg, NJW-RR 2016, 1431, 1432; König, a.a.O., § 10 StVO Rn 4, 10; Scholten in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 10 StVO Rn 50).
Rz. 526
Soweit ein Teil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamm, VRS 45, 461; OLG Celle, VersR 1964, 249 [zu § 17 StVO a.F.]; LG Hamburg, Urt. v. 17.11.2017 – 306 S 1/17, juris Rn 12; LG Saarbrücken, Urt. v. 10.12.2010 – 13 S 80/10, juris Rn 7 f.) sowie der Literatur (Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 10 StVO Rn 2) das Bestehen der besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5, § 10 S. 1 StVO allein gegenüber dem fließenden Verkehr annimmt, weil allein im Verhältnis zu diesem wegen der dort typischerweise bestehenden höheren Geschwindigkeiten eine besondere Gefahrensituation bestehe, ist diese Auffassung mit dem Wortlaut der genannten Normen nicht vereinbar, nach dem unterschiedslos die Gefährdung "anderer Verkehrsteilnehmer" auszuschließen ist. Entsprechend ist in Rechtsprechung und Literatur im Grundsatz anerkannt, dass die besonderen Sorgfaltspflichten der § 9 Abs. 5, § 10 S. 1 StVO auch ...