Rz. 109
Das Berufungsurteil hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Im Ansatz zutreffend war das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ersatzanspruch gegen den Entschädigungsfonds nach § 12 PflVG das Bestehen eines gegen den Halter, den Eigentümer oder den Fahrer eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers gerichteten Schadensersatzanspruchs voraussetzt. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein solcher Anspruch bestehe nicht, weil die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung dazu führe, dass die Klägerin für den Unfall im Verhältnis zu Fahrer und Halter des Gespanns alleine hafte, begegnete keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 110
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG – wie im Rahmen des § 254 BGB – Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (vgl. nur Senatsurt. v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 Rn 10 m.w.N.). Die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung hielt einer Überprüfung anhand dieses Maßstabs stand.
Rz. 111
Die Revision war der Auffassung, das Berufungsgericht hätte der von ihm vorgenommenen Abwägung kein Verschulden der Klägerin zugrunde legen dürfen. Das traf nicht zu. Das Berufungsgericht war ohne Rechtsfehler zum Ergebnis gelangt, nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises, deren Anwendung der vollen revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. etwa Senatsurt. v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 Rn 12; v. 26.3.2013 –VI ZR 109/12, NJW 2013, 2901 Rn 27; v. 16.3.2010 -– VI ZR 64/09, NJW-RR 2010, 1331 Rn 16, m.w.N.), sei davon auszugehen, dass die Klägerin den Unfall verschuldet habe.
Rz. 112
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei Auffahrunfällen, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen kann, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO) (Senatsurt. v. 13.12.2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn 7; v. 30.11.2010 – VI ZR 15/10, NJW 2011, 685 Rn 7; v. 16.1.2007 – VI ZR 248/05, NJW-RR 2007, 680 Rn 5; v. 18.10.1988 – VI ZR 223/87, NJW-RR 1989, 670, 671; v. 6.4.1982 – VI ZR 152/80, NJW 1982, 1595, 1596; ferner von Pentz, zfs 2012, 124, 126). Denn der Kraftfahrer ist verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftaucht (Senatsurt. v. 6.4.1982 – VI ZR 152/80, a.a.O.).
Rz. 113
Das "Kerngeschehen" – hier also der Auffahrunfall – reicht als solches allerdings als Grundlage eines Anscheinsbeweises dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die – wie etwa ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs (Senatsurt. v. 13.12.2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn 11) – als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (Senatsurt. v. 13.12.2011 – VI ZR 177/10, a.a.O., Rn 7 m.w.N.; v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 Rn 14). Steht allerdings nicht fest, ob über das für sich gesehen typische Kerngeschehen hinaus Umstände vorliegen, die – sollten sie gegeben sein – der Annahme der Typizität des Geschehens entgegenstünden, so steht der Anwendung des Anscheinsbeweises nichts entgegen. Denn in diesem Fall bleibt dem Tatrichter als Grundlage allein das typische Kerngeschehen, das ohne besondere Umstände als Basis für den Anscheinsbeweis ausreicht. Ist also ein Sachverhalt unstreitig, zugestanden oder positiv festgestellt, der die für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderliche Typizität aufweist, so obliegt es demjenigen, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis angewendet werden soll, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass weit...