Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 222
Wendet der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten einen Erbteil zu, so kommt es für die Wirkung einer Ausschlagung darauf an, in welcher Höhe die Erbeinsetzung erfolgte:
a) Erbeinsetzung kleiner als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils
Rz. 223
Dies ist die Normsituation des § 2305 BGB. Diese Vorschrift gibt dem Pflichtteilsberechtigten eine (schuldrechtliche) Geldforderung, die der Höhe nach auf die Differenz zwischen dem zugewandten Erbteil und dem vollen Pflichtteil (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB) begrenzt ist. Dies ist der sog. Pflichtteilsrestanspruch oder Zusatzpflichtteil.
Beispiel
Der Erblasser setzt seinen Ehegatten, mit dem er in Gütertrennung lebt, und seinen Sohn S zu je 1/12 als Erben ein. Sein anderes einziges Kind T beruft er zu 5/6 als Erben. Der Pflichtteil des Ehegatten und des S beträgt allerdings je 1/6 (§§ 1931 Abs. 4, 2303 BGB). Demnach haben beide jeweils noch einen Pflichtteilsrestanspruch in Höhe von 1/12.
Rz. 224
Schlägt der Erbe die Erbschaft aus, so verliert er grundsätzlich (Ausnahme: Zugewinngemeinschaft) den ihm hinterlassenen Erbteil, da er ja insoweit nicht enterbt war. Er behält allerdings den Pflichtteilsrestanspruch (den Differenzanspruch, der nicht ausschlagungsabhängig ist). Wer in Unkenntnis dieser Rechtslage ausgeschlagen hat, weil er glaubte, nur so den Pflichtteil zu erlangen, kann nach einer verbreiteten Auffassung die Ausschlagungserklärung nicht anfechten. Es handelt sich um einen unbeachtlichen Rechtsirrtum.
Sonderfälle:
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Bei der Vergleichsberechnung (hinterlassener Erbteil/Hälfte des gesetzlichen Erbteils) sind Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten (§§ 2315, 2316 BGB) zu beachten. |
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Bei Zugewinngemeinschaft unter Ehegatten gilt: Nimmt der überlebende Ehegatte die Erbschaft an, so bestimmt sich die Höhe seines Pflichtteilsrestanspruchs nach dem erhöhten gesetzlichen Erbteil (§§ 1931 Abs. 1, 1371 Abs. 1 BGB). Schlägt der überlebende Ehegatte aus, kann er wegen der Sonderregelung des § 1371 Abs. 3 BGB trotz Ausschlagung seinen Pflichtteil verlangen, allerdings berechnet nur aus dem nicht erhöhten Erbteil des § 1931 Abs. 1 BGB. |
b) Erbteil gleich oder größer der Hälfte des gesetzlichen Erbteils
Rz. 225
Soweit der zugewandte (unbelastete) Erbteil genauso hoch oder größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ist, erlangt der Pflichtteilsberechtigte durch die Erbeinsetzung keine Benachteiligung. Es besteht daher keine Notwendigkeit, ihm zum Schutz des Pflichtteils ein Ausschlagungsrecht einzuräumen. Schlägt er aus, so entsteht auch dadurch grundsätzlich kein Pflichtteilsanspruch (Ausnahme: auch hier Zugewinngemeinschaft).
Beispiel
Der Erblasser setzt bei Gütertrennung seine Ehefrau und den Sohn S zu je 1/6 als Erben ein. Die Tochter T (das einzige weitere Kind) wird daneben zu 4/6 Miterbin. Hier verlieren die Ehefrau und S durch die Ausschlagung den zugewandten Erbteil, ohne den Pflichtteilsanspruch zu gewinnen.