Rz. 69
Häufig werden Bauverträge nicht innerhalb der vertraglich vorgesehenen Frist abgewickelt. Eine Unternehmerinsolvenz kann den Zeitplan ebenso durcheinander werfen wie ein Vergabeverfahren. Die (vertraglich vereinbarte) HOAI-Vergütung bezieht sich nur auf die anrechenbaren Kosten und enthält keine zeitliche Komponente. Der Architekt schuldet jedoch auch dann, wenn es zu zeitlichen Verzögerungen des Bauvorhabens kommt, den entsprechenden Arbeitseinsatz, damit das mangelfreie Bauwerk entstehen kann. Ist im Vertrag keine vertragliche Regelung vorgesehen, steht ihm trotz überdurchschnittlicher Leistung nur dann eine Vergütung zu, wenn entweder ein Fall des § 642 BGB vorliegt oder die Geschäftsgrundlage des Vertrages (§ 313 BGB) berührt wird. § 642 BGB ist nur theoretisch als Anspruchsgrundlage anerkannt. Im Verhältnis zum Bauunternehmer, der einen Anspruch nach § 642 BGB durchsetzen möchte, ist geklärt, dass ausstehende Leistungen des Vorunternehmers einen Annahmeverzug des Auftraggebers begründen können. Konsequenterweise müsste auch der Bauherr im Verhältnis zum Architekten in Annahmeverzug geraten können, weil das Grundstück zur Aufnahme weiterer Architektenleistungen wegen Verzugs eines Handwerksunternehmens nicht bereit ist. Auch ist noch nicht entschieden, wie eine angemessene Entschädigung aussehen könnte. Während in VOB/B-Pauschalverträgen ein zusätzlicher Aufwand von 20 % als Anhaltspunkt genannt wird, um wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage über eine Vergütungsanpassung nachzudenken, tut man sich bei Architekten- oder Ingenieurverträgen damit sehr schwer. Daher dient es in hohem Maße der Streitvermeidung, wenn eine vertragliche Regelung derartige Fälle abdeckt. Der BGH hat in einem ersten Schritt anerkannt, dass die Parteien, ohne in Konflikt mit der nach HOAI festgelegten Vergütung zu geraten, eine Regelung treffen können, wann ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt. Sofern eine realistische Bauzeit zugrunde gelegt wird, in der übliche Ablaufstörungen berücksichtigt sind, kann diese Geschäftsgrundlage sein. Die Klausel, wonach 20 % Überziehung der Bauzeit noch nicht zu einer Honoraranpassung führen soll, ist eine Referenz an die Überlegungen zur VOB/B, nach Auffassung des BGH möglicherweise aber nicht erforderlich. Weiter hat der BGH eine Klausel, wonach ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Leistungseinsatz eine monatliche Vergütung in bestimmter Höhe zu zahlen ist, als unangemessen angesehen.
In einem zweiten Schritt hat der BGH eine recht einfache Formel für die Berechnung der Mehrvergütung gefunden. Mehraufwendungen sind solche Aufwendungen, die der Architekt ohne die Bauzeitverzögerung nicht gehabt hätte. Der Architekt muss also darlegen, in welchem Umfang er bzw. seine Mitarbeiter nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Bauzeit für die Baustelle tätig waren. Dazu gehört sinnvollerweise eine Dokumentation, die belegt, mit welchen Aufgaben die Mitarbeiter beschäftigt waren. Aufwand sind dabei nicht nur die tatsächlich ausgezahlten bzw. für den Inhaber fingierten Stundensätze, sondern die Gemeinkosten, die in die Lohnkosten hineinkalkuliert werden können. Ist eine entsprechende Klausel nicht vereinbart, kann man dem Architekten eigentlich nur empfehlen, nach den §§ 642, 643 BGB vorzugehen und das Vertragsverhältnis zu beenden. Der Architekt ist dann frei, sich einen neuen Auftrag zu suchen. Der Bauherr muss nach Beendigung des Baustopps mit einem neuen Architekten (dies kann auch der alte sein) über ein neues Vertragsverhältnis und damit eine neue Vergütung verhandeln.