Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2026
Der EuGH hatte bereits 2005 in seiner Entscheidung in Sachen "SEVIC-Systems" die Beschränkung der Anwendung des deutschen UmwG auf "Rechtsträger mit Sitz im Inland" als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV gewertet.
In dem entschiedenen Fall sollte die Security Vision mit Satzungssitz in einem Mitgliedstaat der EU (Luxemburg) auf die SEVIC Systems AG mit Sitz in Deutschland verschmolzen werden. Aus deutscher Sicht handelte es sich mithin um einen Fall der Hereinverschmelzung. Das zuständige Registergericht lehnte den Antrag auf Eintragung in das Handelsregister unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwG ab. Dieser sieht vor, dass nur Rechtsträger mit Sitz im Inland an Umwandlungen teilnehmen können. Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass die Hineinverschmelzung der Niederlassungsfreiheit i.S.v. Art. 49, 54 AEUV unterfällt und § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwG zumindest in dieser Fallkonstellation gegen Europarecht verstoße. Eine Beschränkung dieser Grundfreiheit aus den europäischen Verträgen sei zwar grds. durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls möglich, der generelle Ausschluss von Rechtsträgern mit einem Satzungssitz in einem anderen Mitgliedstaat von Teilnahmen an Umwandlungen gehe aber über das hinaus, was hierzu erforderlich sei.
Der EuGH versteht die Niederlassungsfreiheit äußerst weit. Der Verschmelzungsvorgang aufseiten der übertragenden Gesellschaft sei mit einer "Bewegung" verbunden und ziehe zwangsläufig den Verlust der Rechtspersönlichkeit nach sich. Rechtspolitisch war der Zeitpunkt der Entscheidung unglücklich, da der Gerichtshof damit der Umsetzung der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates von 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (jetzt Art. 118 ff. RL 2017/1132/EU) vorgriff. Nach der EuGH-Entscheidung war es unabhängig von der Richtlinie 2005/56/EG und ohne die darin vorgesehenen Bestimmungen möglich, grenzüberschreitende Verschmelzungen vorzunehmen. Zwar war im konkreten Fall nur über eine Hereinverschmelzung nach Deutschland entschieden worden, bei dem sehr weiten Verständnis des EuGH von der Niederlassungsfreiheit war bereits zum damaligen Zeitpunkt absehbar, dass auch Herausverschmelzungen und ggf. sogar Sitzverlegungen nach dem Verständnis des EuGH unter die Niederlassungsfreiheit fallen würden.
Rz. 2027
Nach früher herrschender Meinung ging mit der identitätswahrenden Sitzverlegung über die Grenze automatisch die Auflösung der Gesellschaft einher. In der Rechtssache Cartesio hatte der EuGH sodann klargestellt, dass der grenzüberschreitende Formwechsel in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV – ex Art. 43, 48 EG) fällt und daher vom Wegzugsstaat nicht generell verhindert werden darf. Aus deutscher Perspektive ist damit ein Hinausformwechsel einer deutschen Gesellschaft in eine solche einer Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates grds. zulässig. Soweit Staaten aber der Sitztheorie folgen, ist ihnen das Recht eingeräumt, die Verlegung des Verwaltungssitzes unter Beibehaltung des Satzungssitzes zu untersagen.
Rz. 2028
Für Zuzugsfälle und damit in der umgekehrten Konstellation der Cartesio-Entscheidung hatte der EuGH den grenzüberschreitenden Formwechsel in der Rechtssache "Vale" unter Hinweis auf den Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz für zulässig erklärt. Die Modalitäten des nationalen Rechts dürfen nicht ungünstiger sein, als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln. Mit dieser Rspr. führt der EuGH nicht nur die Cartesio-Entscheidung, sondern auch die SEVIC-Entscheidung, in welcher der EuGH den Parallelfall der grenzüberschreitenden Verschmelzung ebenso entschieden hatte, fort. Noch kurz vor der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "Vale" erachtete das OLG Nürnberg eine solche grenzüberschreitende Satzungs- und Verwaltungssitzverlegung einer ausländischen Kapitalgesellschaft nach Deutschland unter identitätswahrendem Formwechsel für unzulässig. Deutsche Gerichte vollziehen die Rspr. des EuGH zur Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Satzungssitzverlegung inzwischen nach. Verfahrensregelungen hierzu gibt es derzeit nicht. Das OLG Nürnberg wendet daher in Reaktion auf die VALE-Entscheidung des EuGH auf diese Fälle die Vorschriften zum Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) analog an. Das KG hatte zuletzt klargestellt, dass daneben die Vorschriften der SE-VO grds. analog auf die grenzüberschreitende Sitzverlegung angewandt werden können und demnach auch zwingend ein Umwandlungsplan und ein Umwandlungsbericht beim Handelsregister einzureichen sind (Art. 8 SE-VO). Dies soll aber nur dann der Fall sein, wenn es sich bei dem ausländischen Unternehmen um ein Großunternehmen handelt. Anderenfalls sei der ausländische Rechtsträger gegenüber der deutschen GmbH benachteiligt. Ausreichend ist daher, wenn die Regelungen des UmwG beachtet werden.