Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1534
Verstößt ein Hauptversammlungsbeschluss gegen Gesetz oder Satzung, liegt aber kein Nichtigkeitsgrund vor, ist grds. Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 AktG gegeben. Beispiele sind Verfahrensfehler bei der Einberufung (z.B. Fehler bei der Einberufungsfrist, Fehler bei der Bekanntmachung der Tagesordnung und Beschlussvorschläge; Beschlussvorschläge vom falschen bzw. nicht ordnungsgemäß besetzten Organ) oder Fehler bei der Durchführung der Hauptversammlung (z.B. Missachtung von Stimmverboten, Fehler bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses; Beeinträchtigung des Rede- und/oder Fragerechts der Aktionäre; nicht erforderliche oder nicht verhältnismäßige Ordnungsmaßnahmen, übertriebene Zugangsbeschränkungen, Antrag auf Abwahl des satzungsmäßig bestimmten Versammlungsleiters wird zu Unrecht nicht beachtet; überlange Dauer der Hauptversammlung).
Rz. 1535
Nicht jeder Verfahrensverstoß genügt. Auf die Mehrheitsverhältnisse kommt es nicht an. Nach h.M. muss der Verfahrensfehler für das Beschlussergebnis relevant sein. Es ist darauf abzustellen, ob es bei wertender Betrachtungsweise möglich oder ausgeschlossen ist, dass sich der Verfahrensfehler auf das Beschlussergebnis ausgewirkt hat. Nach Ansicht der Rspr. ist der Blickwinkel bei der Beurteilung weg vom Abstimmungsverhalten hin zur Urteilsbildung eines objektiv urteilenden Aktionärs zu wenden. Relevanz im Hinblick auf einen Squeeze-Out hat der BGH bspw. verneint, wenn der Versammlungsleiter einen Antrag auf Sonderprüfung nicht zur Abstimmung gestellt hat. Bei einem Verstoß gegen das Teilnahmerecht kommt es nur noch darauf an, ob dies für die Urteilsbildung von Relevanz gewesen wäre.
Rz. 1536
Auch inhaltliche Fehler führen zur Anfechtbarkeit; z.B. bei Sondervorteilen (§ 245 Abs. 2 AktG), bei einem Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bzw. das Gleichbehandlungsgebot i.S.e. materiellen Beschlusskontrolle (sachliche Rechtfertigung; Missbrauch der Mehrheitsmacht ggü. Interessen der Minderheit), sowie. bei der Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses bei Kapitalerhöhungen. Str. ist die materielle Beschlusskontrolle für Grundlagenbeschlüsse.
Rz. 1537
Eine Anfechtungsklage kommt schließlich nach § 243 Abs. 4 AktG in Betracht bei der Verletzung von Informationspflichten. Die Regelung knüpft an "Thyssen-Krupp-Entscheidung" an. Danach ist ein relevanter und damit anfechtbarer Verstoß gegen das Teilnahmerecht des Aktionärs gegeben, wenn in der Hauptversammlung Auskünfte vorenthalten werden, die aus Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs in der Fragesituation zur sachgerechten Beurteilung i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG des Beschlussgegenstandes erforderlich sind. Allerdings nimmt der Gesetzgeber entgegen dieser Rspr. in § 243 Abs. 3 AktG eine Gleichsetzung von Auskunftsmangel und Anfechtbarkeit nicht vor, denn die Vorschrift setzt für die Anfechtbarkeit weiter voraus, dass die mangelhaft erteilte Information "wesentliche" Bedeutung für die Beurteilungsgrundlage haben muss. Maßgeblich kommt es auf eine Gesamtbetrachtung aller "erforderlichen" Informationen i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG an. Unbeachtlich sind andererseits Aussagen der Hauptversammlung oder anderer Aktionäre, wonach die Verweigerung der Auskunft ihre Beschlussfassung nicht beeinträchtigt habe. Ausgeschlossen ist die Anfechtungsklage wegen Verletzung von Informationspflichten bzgl. der Ermittlung bzw. der Höhe oder Angemessenheit von Ausgleich, Abfindung, Zuzahlung oder sonstiger Kompensation, wenn das Gesetz für Bewertungsrügen ein Spruchverfahren vorsieht (§ 243 Abs. 4 Satz 2 AktG).
Parallel hierzu besteht die Möglichkeit, bei Informationspflichtverletzungen ein Auskunftserzwingungsverfahren anzustrengen (§ 3132 AktG). In diesem Verfahren ergangene Entscheidungen binden das Gericht im Anfechtungsprozess nicht.