Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 369
In Anlehnung an die Entscheidungen im Fall "Holzmüller", "Gelatine I" und "Gelatine II", in denen der BGH die Zuständigkeit der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft über die vom Gesetz vorgesehenen Fälle hinaus erweiterte, wird auch für die GmbH diskutiert, ob und bei welchen Strukturmaßnahmen eine Vorlagepflicht der Geschäftsführung gegenüber der Gesellschafterversammlung besteht. Strittig ist insb., wie die Strukturmaßnahmen zu definieren sind und welches wirtschaftliche Gewicht sie besitzen müssen. Teilweise wird ein Gesellschafterbeschluss gefordert, wenn die Geschäftsführung eine Änderung bzw. Neuorientierung der Unternehmenspolitik beabsichtigt oder den bisherigen Rahmen des Geschäftsbetriebes überschreiten will. Nach a.A. sind die Geschäftsführerbefugnisse analog § 116 Abs. 1 HGB auf gewöhnliche bzw. laufende Geschäfte beschränkt und außergewöhnliche Angelegenheiten und Grundentscheidungen der Unternehmenspolitik der Bestimmung der Gesellschafterversammlung vorbehalten.
Es gibt Literaturstimmen, die dafür plädieren, die vom BGH in "Gelatine" zur AG entwickelten Grundsätze auf die GmbH zu übertragen, sodass Strukturmaßnahmen mit einem Umfang von etwa 80 % des Gesellschaftsvermögens der Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit ¾-Mehrheit bedürften. Dem ist zu widersprechen, wenn man damit zugleich auch im GmbH-Recht eine Befugnis der Gesellschafterversammlung bei Geschäftsführungsmaßnahmen unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle, ablehnen will. Dies würde der oben dargestellten Organisationsstruktur der GmbH nicht gerecht werden. Gerade die Kernaussage von "Gelatine", dass ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten im Aktienrecht die absolute Ausnahme bleiben sollen, und die entscheidendes Motiv für die hohe Erheblichkeitsschwelle war, ist nicht auf das GmbH-Recht übertragbar.
Rz. 370
Richtigerweise ergeben sich die Geschäftsführungsmaßnahmen, die einen Gesellschafterbeschluss erfordern, daher wie bisher in erster Linie aus dem Gesellschaftsvertrag. Insb. können die Gesellschafter regeln, welche (außergewöhnlichen) Geschäftsführungsmaßnahmen sie selbst treffen wollen und welche die Geschäftsführung eigenverantwortlich treffen darf. Die Grenzen hierfür folgen aus nicht dispositiven gesetzlichen Kompetenzzuweisungen. Die Gesellschafter dürfen sich also nicht ihrer Grundlagenzuständigkeit etwa für Satzungsänderungen und Kapitalmaßnahmen (§§ 53, 55 ff. GmbHG) oder Strukturmaßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz (insbes. § 13 Abs. 1 UmwG) begeben.
Soweit die Satzung keine Regelung enthält (und nicht schon kraft Gesetzes ein Gesellschafterbeschluss notwendig ist), gilt im Außenverhältnis der Grundsatz des § 37 Abs. 2 GmbHG, während freilich im Innenverhältnis die Verpflichtung zur Einholung eines Gesellschafterbeschlusses bestehen kann, wenn dies im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint (§ 49 Abs. 2 GmbHG). Dies wird, neben den vom BGH jüngst betrachteten Gesamtvermögensgeschäften, auch solche Geschäfte und Maßnahmen betreffen, bei denen in der Aktiengesellschaft nach den vom BGH entwickelten "Holzmüller" bzw. "Gelatine"-Maßstäben eine Ausnahmezuständigkeit der Hauptversammlung bejaht wird. Ungeklärt ist, welche Verfahrensvorschriften für einen entspr. Beschluss bei der GmbH gelten. Angesichts der insoweit herrschenden Rechtsunsicherheit sollte aber bspw. im Falle einer Beschlussfassung über die beabsichtigte Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung ein endverhandelter Vertrag oder zumindest ein endverhandeltes Term Sheet mit allen für die Beurteilung des Geschäfts maßgeblichen Bedingungen vorliegen und den Gesellschaftern mit der Einladung zugesandt worden sein.