Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1572
Wie jede andere Rechtsausübung steht das Anfechtungsrecht unter dem Missbrauchsvorbehalt. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn ein Aktionär sein Anfechtungsrecht in grob eigensüchtiger und die Gesellschaft schädigender Weise ausübt, etwa zu dem Zweck, die Gesellschaft unter seinen Einfluss zu bringen und zu vernichten oder um ihr selbstsüchtig seinen Willen erpresserisch aufzuzwingen. Es häufen sich Fälle, in denen Anfechtungsklage erhoben werden wird nur zu dem Zweck, sich die Rücknahme der Klage abkaufen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Kläger erst nach Klageerhebung dazu entschließt, eine solche ihm nicht gebührende Sonderleistung (etwa als Rechtsanwaltshonorar/Aufwandsentschädigung) zu fordern. Es hat sich ein Gewerbe von wenigen, einschlägig bekannten Berufsklägern herausgebildet. Soweit die Gesellschaft den Missbrauchseinwand erhebt, ist sie darlegungs- und beweispflichtig. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten bzw. die Verfolgung eigensüchtiger Absichten eines Aktionärs ist dabei für jeden Einzelfall festzustellen. Indizwirkung hat z.B. die Tatsache, dass schon in anderen Verfahren unzulässige Sonderleistungen gefordert wurden oder dass eine ungewöhnlich hohe Forderung geltend gemacht wird. Das OLG Frankfurt am Main hat vier konkrete Aspekte identifiziert, welche zusammengenommen die Annahme eines "grob eigennützigen" (sittenwidrigen) Verhaltens eines Aktionärs rechtfertigen können:
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sehr geringer Aktienbesitz: der Kläger hielt insgesamt nur etwas mehr als 0,02 % des Stammkapitals; |
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die geltend gemachten Klagegründe: geltend gemacht wurden weitgehend formale Gründe (wie z.B. der "falsche" Versammlungsort), welche laut Gericht für die Wahrung von Aktionärsinteressen ohne (nennenswerten) Belang sind; |
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der anfechtungsrechtliche "track record" des Aktionärs: der Aktionär war bereits durch zahlreiche frühere, im Wesentlichen immer durch Vergleich beendete aktienrechtliche Anfechtungsverfahren "gerichtsbekannt", wobei es sich dabei vornehmlich um "Verfahren mit Hebelwirkung" handelte; |
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die Bereitwilligkeit zum Vergleich: über die Prozessbevollmächtigte wurde der beklagten AG bereits kurz nach Klageerhebung ein "mit dem Kläger abgestimmter" Vergleichstext übermittelt, was das Gericht auf ein planmäßiges Vorgehen des Klägers schließen ließ. |
Rz. 1573
Weiteres Differenzierungskriterium kann bspw. das Verhalten des Aktionärs auf der der Klage vorangehenden Hauptversammlung sein, welches in begründeten Fällen gerichtsverwertbar festgehalten werden sollte. Oft werden auf der Hauptversammlung "planmäßig vorbereitet", bspw. durch gezielte Störung, die zum Entzug des Rederechts oder dem Verweis aus dem Versammlungssaal führt, oder eine (Über-)Fülle von Anträgen/Fragen, welche in der Folge nicht abgearbeitet werden (können). Berücksichtigt werden sollte auch verstärkt, inwieweit der Aktionär mit seiner Klage eine "Hebelwirkung" erzielt, also die Relation zwischen (geringem) Aktienbesitz und der (absoluten) Sperrwirkung einer Klage.
Rz. 1574
Rechtsmissbräuchlich ist es nicht, wenn die Klage dazu dient, einen rechtswidrigen Beschluss der Hauptversammlung zu beseitigen, auch wenn damit für den klagenden Aktionär kein weiterer Nutzen verbunden ist. Anders wiederum ist es, wenn er trotz Widerspruchs vor der Beschlussfassung dem Beschluss zustimmt und nicht nachträglich erneut Widerspruch zu Protokoll erklärt.
Rz. 1575
Liegt Rechtsmissbrauch vor, ist die Anfechtungsbefugnis verwirkt und die Klage unbegründet. Bereits geleistete Zahlungen kann die Gesellschaft bereicherungsrechtlich sowie nach §§ 57, 62 AktG zurückfordern; auch stehen der Gesellschaft Schadensersatzansprüche nach §§ 823, 826 BGB zu.
Rz. 1576
Denkbar ist hier auch eine Haftung des klagenden Aktionärs. I.R.d. FMStBG wurde in § 7 Abs. 7 FMStBG hierzu eine ausdrückliche Regelung geschaffen. Das OLG Frankfurt am Main hat ebenso eine missbräuchliche Klage und einen Anspruch nach § 826 BGB bejaht. Der BGH hat diese Entscheidung gebilligt. Die Gerichte haben sich zur konkreten Schadenshöhe noch nicht geäußert. Das OLG Frankfurt am Main hat jedoch Hinweise auf mögliche Schadenspositionen gegeben, so etwa, dass durch die Klage die Durchführung der Kapitalerhöhung verzögert wurde (verspäteter Kapitalzufluss an die Aktiengesellschaft) und dass mit der Abwehr der missbräuchlichen Klage für die AG Kosten entstanden sind (z.B. Berater- und Gerichtskosten).