Rz. 534

In der Praxis wird seit Jahrzehnten eine Form der missbräuchlichen Verwendung der GmbH in der Krise oder Insolvenz beobachtet, die man als (strafrechtlich relevante) "Firmenbestattung" oder "organisierte Firmenbestattung" bezeichnet.[1818]

In diesen Fällen wollen sich die Gesellschafter einer in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckenden GmbH durch Veräußerung der Geschäftsanteile an einen sog. "Firmenbestatter" den Unannehmlichkeiten des Insolvenzverfahrens entziehen. Dabei werden typischerweise die bisherigen Geschäftsführer abberufen und entlastet und durch typischerweise unerfahrene Personen ersetzt,[1819] die Firma der Gesellschaft verändert und der Sitz verlegt, dies oft mehrmals hintereinander. Die neuen Anteilseigner stellen die Geschäftstätigkeit ein und verwerten das vorhandene Vermögen. Wenn dann Insolvenzantrag gestellt wird, haben die neuen Geschäftsführer keinerlei Informationen über die Gesellschaft und die Geschäftsunterlagen sind am neuen Firmensitz unauffindbar. Damit will man die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse erreichen, um eine schnelle und lautlose Liquidation zu ermöglichen.[1820] Das so "beerdigte" Unternehmen wird häufig nach kurzer Zeit von einer von den früheren Gesellschaftern neu gegründeten Gesellschaft fortgeführt. Hierzu erwerben die Altgesellschafter eine vom "Bestattungsunternehmer" bereitgehaltene Vorratsgesellschaft. Nach Auflösung der alten Gesellschaft an einem anderen Ort unter geänderter Firma kann die ursprüngliche oder nur leicht geänderte Firma weiterverwendet werden, sodass der "Tod" der alten Gesellschaft an ihrem früheren Sitz im Geschäftsverkehr nicht bemerkt wird.

 

Rz. 535

Die gem. § 4a GmbHG bestehende Möglichkeit zur Verlegung des Satzungssitzes zieht einen Zuständigkeitswechsel des Insolvenzgerichts nach sich (§ 3 Abs. 1 InsO). Eine allein der Erleichterung der Firmenbestattung dienende Sitzverlegung (sog. Zuständigkeitserschleichung) ist nach verbreiteter Auffassung wegen Rechtsmissbrauchs die zuständigkeitsbegründende Wirkung zu versagen.[1821] Über die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland wird durch bestattungswillige Gesellschafter angestrebt, sich dem deutschen Insolvenzrecht und damit verbundenen Haftungsvorschriften zu entziehen. Art. 3 EuInsVO[1822] bestimmt, dass das Insolvenzrecht desjenigen Staates anzuwenden ist, in dem der Schuldner seinen Center of Main Interest (COMI) hat. In Einklang mit der "Eurofood"-Entscheidung des EuGH[1823] sind Verwaltungssitz und COMI gleichzusetzen, sofern der COMI tatsächlich ins Ausland verlegt und nicht nur vorgetäuscht wurde. Wenn der Gesellschaftssitz im Ausland liegt und der Geschäftsführer dort seinen regelmäßigen Aufenthalt hat, wird man jedenfalls eine tatsächliche Verlagerung des COMI annehmen müssen. Die Vermutung, wonach Sitz und COMI gleichzusetzen sind, greift jedoch nicht, wenn zwischen Sitzverlegung und Antragstellung weniger als drei Monate liegen (Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 EuInsVO).

 

Rz. 536

Bei einem ausländischen Insolvenzverfahren besteht die Gefahr, dass deutsche insolvenzrechtliche Haftungsinstrumente – insb. die Insolvenzantragspflicht und die damit verbundene Insolvenzverschleppungshaftung – ins Leere gehen. Außerdem bildet der COMI den Anknüpfungspunkt für insolvenzbezogene Erkenntnisverfahren. Dies hat zur Folge, dass die Gerichte des insolvenzrechtlich zuständigen Staates auch für damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende Einzelprozesse wie bspw. Anfechtungsklagen und Klagen auf Rückerstattung eigenkapitalersetzender Darlehen zuständig sind.[1824] Dennoch stehen inländische Gläubiger nicht schutzlos. Ein Sekundärinsolvenzverfahren, auf das nach Art. 35 EuInsVO deutsches Insolvenzrecht anzuwenden ist,[1825] begrenzt die universelle Beschlagswirkung des Hauptinsolvenzverfahrens und löst in Deutschland belegenes Vermögen aus der Masse des Hauptverfahrens heraus. Dies setzt allerdings gem. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO voraus, dass der Schuldner eine inländische Niederlassung unterhält und im Inland einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht nur vorübergehender Dauer nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt.[1826] Sofern diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, verbleibt als Anknüpfungspunkt der Rechtsschein des Handelsregisters, wenn darin eine deutsche Niederlassung eingetragen ist.[1827] I.Ü. ist zu beachten, dass bereits entstandene Insolvenzhaftungsansprüche gegen Geschäftsführer und Gesellschafter nicht durch den Wechsel des Insolvenzstatuts untergehen. Insofern gilt der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Rechts, wonach erworbene Rechte nicht durch die mit der COMI-Verlegung verbundene Änderung des anzuwendenden Rechts vernichtet werden.[1828]

Bestehen Anhaltspunkte, dass der Insolvenzschuldner lediglich formal seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt hat – die (angebliche) Verlegung des COMI also rechtsmissbräuchlich war – so kann einer im Ausland ausgesprochenen Restschuldbefreiung die Anerkennung wegen Verstoßes gegen...

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