Rz. 1674

Eine "Satzungsdurchbrechung" liegt vor, wenn die Hauptversammlung für eine konkrete Einzelsituation durch Beschluss bewusst von der Satzung abweicht, diese selbst aber unverändert lässt.[4331]

Nichtig sind derartige Beschlüsse, wenn sie zustandsbegründend wirken sollen und die Formalien einer regulären Satzungsänderung nicht beachten.[4332] Aber auch dann, wenn sich der Beschluss auf eine "punktuelle" Regelung beschränkt, bei der sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft, ist seine rechtliche Zulässigkeit zweifelhaft. Erforderlich ist in jedem Fall, dass der Beschluss mit satzungsändernder Mehrheit gefasst und notariell beurkundet wird; notwendig ist ebenso seine ordnungsgemäße Ankündigung bei der Einberufung der Hauptversammlung.[4333] Ob der Beschluss im Handelsregister eingetragen werden muss, ist str.[4334] Die h.M. hält dies für erforderlich.[4335] Unterbleibt die Eintragung, ist der Beschluss anfechtbar,[4336] nach a.A. ist der Beschluss wegen § 181 Abs. 3 AktG nicht wirksam.[4337] Im Ergebnis gibt es daher im Aktienrecht eine Satzungsdurchbrechung wohl nicht.[4338]

 

Rz. 1675

Nach Ansicht des BGH sei eine Satzungsdurchbrechung wegen Nichteinhaltung der Voraussetzungen einer Satzungsänderung zwar gesellschaftsrechtlich unwirksam: Sie könne jedoch in eine schuldrechtliche Nebenabrede umgedeutet werden, so dass die an diesem Beschluss mitwirkenden Gesellschafter schuldrechtlich daran gebunden sind.[4339] Entscheidend für eine Umdeutung sei, dass damit nicht in den innerorganisatorischen Bereich der Gesellschaft eingewirkt werde. Statthaft sei eine Umdeutung z.B. bei Vorkaufsrechten, Andienungsrechten, Abtretungsverpflichtungen (freilich im GmbH-Recht jeweils unter Beachtung der Form des § 15 Abs. 4 GmbHG), bei schuldrechtlichen Ansprüchen zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter, insbes. beim Abfindungsentgelt und beim Wettbewerbsverbot oder zusätzlichen Beitragspflichten. Unzulässig sei eine Umdeutung dagegen, wenn zusätzliche Gesellschaftsorgane geschaffen werden sollen, es um die Bestellung/Abberufung von Organen gehe oder die Aufnahme neuer Gesellschafter bzw. die Beendigung der Gesellschafterstellung inmitten stehe.[4340]

[4331] Priester, ZHR 151 (1987), 40; Koch, AktG, § 179 Rn 7; KK-AktG/Zöllner, § 179 Rn 91.
[4332] BGHZ 123, 15, 19 = DNotZ 1994, 313; OLG Köln, AG 2001, 426; Koch, AktG, § 179 Rn 8.
[4333] KK-AktG/Zöllner, § 179 Rn 96 f.; Koch, AktG, § 179 Rn 8.
[4334] Priester, ZHR 151 (1987), 40, 53.
[4335] KK-AktG/Zöllner, § 179 Rn 96 f.; Koch, AktG, § 179 Rn 8; Habersack, ZGR 1994, 354, 367.
[4336] KK-AktG/Zöllner, § 179 Rn 99.
[4337] Koch, AktG, § 179 Rn 8; Habersack, ZGR 1994, 354, 369.
[4338] Krieger, AG 2006, 355, 357; MüKo-AktG/Stein, § 179 Rn 41; Spindler/Stilz/Holzborn, AktG, § 179 Rn 49 ff.
[4339] BGH, RNotZ 2010, 589, m. Anm. Leitzen, RNotZ 2010, 566.
[4340] Leitzen, RNotZ 2010, 566, 569 ff.

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