Rz. 572

Die Rechtsform der AG genießt im Gegensatz zur Rechtsform der GmbH häufig ein besseres Image. Vorteil der AG ist die erleichterte Möglichkeit der Kapitalbeschaffung über die Börse. Von daher ist die AG im Gegensatz zur GmbH eher für eine Fluktuation unter den Anteilseignern geeignet. Diese Fluktuation wird bei der AG durch die Zulassung praktisch nennwertloser Anteile (Stückaktien) sowie durch das Fehlen von Formvorschriften betreffend die Übertragung von Aktien herbeigeführt. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zur GmbH besteht darin, dass bei der AG eine strikte Funktionsteilung zwischen den Kapitalgebern und der Verwaltung der Gesellschaft vorgesehen ist. Zwingend gibt es als drittes Organ – neben dem Vorstand und der Hauptversammlung der Gesellschaft – den Aufsichtsrat. Die Hauptversammlung wird in operativen Angelegenheiten nur in Ausnahmefällen gem. § 119 Abs. 2 AktG eingebunden. Im Wesentlichen hat sie nur über Strukturmaßnahmen sowie über die Gewinnverwendung zu entscheiden. I.Ü. liegen die laufenden Geschäfte in der alleinigen Verantwortung des Vorstands, der vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen wird. Einfluss auf die Person des Vorstands hat die Hauptversammlung nur mittelbar über die Wahl des Aufsichtsrats. Ein Weisungsrecht ggü. dem Vorstand gibt es nicht.

 

Rz. 573

Eine AG mit offenem Gesellschafterkreis, deren Aktien regelmäßig zum Börsenhandel zugelassen sind, entspricht als sog. "Publikums-AG" am ehesten dem Leitbild des Gesetzes. Für sie gibt es z.T. besondere Vorschriften (vgl. z.B. §§ 121 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4a, 122 Abs. 2 Satz 3, 124a, 125 Abs. 1 Satz 3 und Satz 5, 126 Abs. 1 Satz 3, 130 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AktG). Daneben gibt es die sog. "kleine AG". Der Unterschied zur Publikums-AG besteht hauptsächlich darin, dass die Gesellschaft nicht börsennotiert ist und schon von daher eher einen mehr oder minder geschlossenen Aktionärskreis aufweist. Als kleine AG sind häufig "Familien-AG"[1960] anzutreffen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Aktionäre und Organe der Gesellschaft im Wesentlichen nur aus bestimmten Familien stammen. In der Satzung und/oder in begleitenden schuldrechtlichen Pool-Verträgen bzw. Aktionärsvereinbarungen zwischen den Aktionären werden Vorkehrungen getroffen, die davor schützen, dass familienfremde Dritte Einfluss auf die Gesellschaft erwerben können.

 

Rz. 574

Mit dem ZuFinG neu eingeführt wurde als Rechtsformvariante der AG in den §§ 44 ff. BörsenG die sog. Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG). Es handelt sich dabei um eine Sonderform der AG. Sie bezeichnet Gesellschaften, die als Investitionsvehikel ohne eigenes operatives Geschäft an die Börse gebracht werden, um anschließend ein geeignetes operatives Unternehmen zu finden, das dann mit den über die Börse eingeworbenen Kapital erworben wird (Zieltransaktion).[1961] Im Ausland sind diese Gesellschaften unter dem Begriff SPACs (Special Purpose Acqusition Companies) bekannt. Die §§ 44 ff. BörsenG enthalten besondere Regelungen hierzu. BMAG dürfen nur einen bestimmen Gesellschaftszweck haben (§ 44 Abs. 1 BörsenG) und nur befristet bestehen (§ 44 Abs. 3 BörsenG). In der Firma muss die Bezeichnung "Börsenmantelgesellschaft" enthalten sein (§ 44 Abs. 5 Satz 2 AktG). Auch muss die Satzung zwingend eine virtuelle Hauptversammlung nach § 118a AktG ermöglichen (§ 44 Abs. 4 Nr. 3 BörsenG).[1962] Zum Schutz der Aktionäre ist die Einlage der Aktionäre auf einen Treuhänder zu übertragen (§ 45 Abs. 1 AktG). Dies ist an sich mit den Kapitalaufbringungsvorschriften nicht vereinbar, wird jedoch in § 45 Abs. 3 BörsenG für zulässig erklärt. Die Entscheidung über die Zieltransaktion trifft die Hauptversammlung (§ 46 BörsenG). Regelungen zur Überführung der BMAG in eine normale AG bzw. zur Auflösung sind in § 47b BörsenG enthalten.

 

Rz. 575

Entsprechend der Funktionstrennung zwischen den Organen der AG und der Möglichkeit einer relativ einfachen Übertragung der Aktien bestehen strenge Vorschriften zur Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung. Auch i.Ü. ist das Aktienrecht im Gegensatz zum GmbH-Recht geprägt durch den Grundsatz der Satzungsstrenge. Nach § 23 Abs. 5 AktG kann die Satzung der Gesellschaft nur dort von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen, wo dies im Gesetz ausdrücklich zugelassen ist oder wo das Gesetz keine abschließende Regelung getroffen hat. Gerade dieser Grundsatz der Satzungsstrenge, aber auch die sonst relativ strengen Formvorschriften im Aktienrecht, das zwingende Erfordernis eines Aufsichtsrats als drittem Organ sowie insb. die Vorschriften über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung führen dazu, dass namentlich bei kleinen Gesellschaften mit einem beschränkten Kreis von Anteilseignern – jedenfalls in der Anfangsphase eines Unternehmens – die Rechtsform der AG im Gegensatz zu der der GmbH eher von Nachteil ist. Dieser Nachteil wird auch nicht ohne Weiteres durch die Regelungen des Gesetzes für kleine AG und zur Deregulierung des Aktienrechts kompensiert.[1963] Nur in Teilbereichen wird das st...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge