Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1234
Aufgabe des Versammlungsleiters ist es, für die ordnungsgemäße Durchführung (Ordnung) und sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung (Leitung) zu sorgen. Der Versammlungsleiter hat aus eigenem Recht alle Leitungs- und Ordnungsbefugnisse, die er für seine Aufgabenerfüllung benötigt. Die Ausübung seiner Befugnisse steht im pflichtgemäßen Ermessen. Er muss sich neutral verhalten und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung beachten. Die Praxis bedient sich regelmäßig eines sog. Leitfadens. Darin sind der genaue Ablauf der Hauptversammlung (mit den jeweils erforderlichen Wortbeiträgen des Versammlungsleiters) sowie etwaige besondere Situationen vorgezeichnet. Desgleichen enthält der Leitfaden genaue (Regie-)Anweisungen für den Versammlungsleiter, wie er im Einzelfall zu reagieren hat (i.d.R. im Wortlaut).
Rz. 1235
Der Versammlungsleiter ist zuständig für die Eröffnung der Hauptversammlung sowie für die Prüfung und Entscheidung über die Teilnahmeberechtigung (s.o. Rdn 1218 ff.). Dazu gehört auch die Identitätsfeststellung. Wird einem Aktionär sein Teilnahmerecht zu Unrecht vorenthalten, kann dieser Anfechtungsklage erheben. Im Zweifel sollte ein Aktionär daher zur Teilnahme zugelassen werden. Zwar besteht ein Anfechtungsrecht auch bei unberechtigt zur Hauptversammlung zugelassenen Personen. Regelmäßig kann die Relevanz dieses Rechtsverstoßes für das Abstimmungsergebnis aber nicht nachgewiesen werden. Das Anfechtungsrisiko ist relativ gering.
Bei der Eröffnung der Hauptversammlung stellt der Versammlungsleiter. fest, dass die gesetzlichen Einberufungsvorschriften beachtet wurden und welche Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrates anwesend sind.
Rz. 1236
Sodann ist es Aufgabe des Versammlungsleiters, für die Erledigung der Tagesordnung zu sorgen. Er hat darauf hinzuwirken, dass die Tagesordnungspunkte in einem geordneten und zügigen Verfahren sachlich erörtert, die relevanten Fragen ausreichend beantwortet und rechtmäßige Beschlüsse gefasst werden. Insb. eröffnet und schließt der Versammlungsleiter die Aussprache, fordert zur Stimmabgabe auf und stellt das Abstimmungsergebnis fest (§ 130 Abs. 2 AktG); ihm obliegt die Unterbrechung der Hauptversammlung und ihre Schließung. Ebenso entscheidet der Versammlungsleiter, ob über die einzelnen Tagesordnungspunkte nacheinander verhandelt und abgestimmt wird oder ob über mehrere oder alle Tagesordnungspunkte eine Generaldebatte geführt und anschließend über sämtliche Tagesordnungspunkte abgestimmt wird.
Rz. 1237
An die Reihenfolge der bekannt gemachten Tagesordnung ist der Versammlungsleiter nicht gebunden, doch sollte er davon nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes abweichen. Er entscheidet auch über die Reihenfolge der Abstimmung und nach § 134 Abs. 4 AktG über das Abstimmungsverfahren, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt (Blockabstimmung, Additionsverfahren, Subtraktionsverfahren; s. zum Abstimmungsverfahren aber unten Rdn 1245). Eine Ausnahme besteht nach § 137 AktG bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, wenn hierzu Vorschläge von Aktionären vorliegen bzw. wenn nach § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG verlangt wird, über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrates einzeln abzustimmen. Wird ein Antrag zur Geschäftsordnung gestellt, ist dieser regelmäßig vorab zur Abstimmung zu stellen, da ein solcher Antrag zum Verfahren in der Hauptversammlung obsolet wäre, wenn vorher schon über die Sache entschieden würde. Dies gilt v.a. für den Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters (s.o. Rdn 1176) sowie für den Antrag auf Vertagung bzw. Absetzung eines Tagesordnungspunktes. I.Ü. wird der Versammlungsleiter diejenigen Sachanträge zuerst zur Abstimmung stellen, für die er eine Mehrheit erwartet. Ergeht ein solcher Beschluss, erübrigen sich die zu diesem Punkt weiter gestellten Anträge. Gleichermaßen ist der Versammlungsleiter berechtigt, offenkundig unzulässige Beschlussanträge nicht zur Abstimmung zu stellen. Der Versammlungsleiter entscheidet über das Rederecht der Aktionäre und über die Reihenfolge der Wortmeldungen. Zulässig ist es insb., solche Wortbeiträge vorzuziehen, von denen zu erwarten ist, dass sie von der Mehrheit der Aktionäre als besonders informativ und sachdienlich beurteilt werden, um damit möglicherweise andere Wortmeldungen überflüssig zu machen. Schließlich ist der Versammlungsleiter befugt, das Rede- und Fragerecht der Aktionäre einzuschränken, z.B. in Form einer zeitlichen Beschränkung oder durch Schließung der Rednerliste, Nichtzulassung weiterer Fragen oder – als ultima ratio – durch Schluss der Debatte. Weiter gehende Möglichkeiten bestehen, wenn er hierzu nach § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG durch die Satzung oder die Geschäftsordnung ermächtigt wurde (s.o. Rdn 1058).
Rz. 1238
Neben der Leitungsfunktion ist der Versammlungsleiter berechtigt, Ordnungsmaßnahmen zu treffen, um den geordn...