Rz. 49

Die Bedeutung des selbstständigen Beweisverfahrens hat insbesondere in Bausachen in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Denn gerade bei Bauvorhaben ist die Sicherung von Beweisen erforderlich, da sich die tatsächlichen Gegebenheiten auf der Baustelle stetig verändern. Dies führt in der Praxis dazu, dass die Parteien eines Bauvertrages bei einem Streit um Mängel das selbstständige Beweisverfahren mittlerweile selbst als Lösungsweg ansehen und vorschlagen. In der anwaltlichen Beratungspraxis hat dies zur Folge, dass Mandanten, unabhängig davon, ob sie Auftraggeber oder Auftragnehmer eines Bauvertrages sind, den Anwalt mit der Bitte um Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens aufsuchen. Es besteht ein Interesse daran, dass ein unabhängiger Sachverständiger überprüft, ob Mängel des Bauwerks vorliegen, wer diese verursacht hat, in welcher Form eine Mängelbeseitigung möglich ist und wie hoch die Mängelbeseitigungskosten sind. Verbunden ist dieser Wunsch mit dem Ziel, das Sachverständigengutachten möglichst kurzfristig zu erhalten. Mit der Fertigstellung eines Bauvorhabens ist in der Regel ein erheblicher Zeitdruck verbunden. Aufgrund dessen können es sich die Parteien nicht leisten, wegen einzelner Mängel oder einer Vielzahl von Mängeln das gesamte Bauvorhaben ruhen zu lassen, bis diese Mängel in einem langwierigen gerichtlichen Verfahren rechtskräftig festgestellt sind. Dies gilt auch angesichts der Tatsache, dass bekanntlich Bauprozesse derzeit in vielen Fällen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung drei bis zehn Jahre andauern. Daher wäre es im Interesse aller, das selbstständige Beweisverfahren innerhalb weniger Wochen durchzuführen.

 

Rz. 50

Die tägliche Praxis des selbstständigen Beweisverfahrens ist jedoch eine andere. Zeiträume von drei bis neun Monaten zwischen Eingang der Antragsschrift bei Gericht und Durchführung des Ortstermins durch den Sachverständigen sind, unabhängig vom Umfang der festzustellenden Mängel, die Regel. Aufgrund des langen Zeitraums zwischen Eingang des Antrags und Durchführung des Ortstermins ist das selbstständige Beweisverfahren nicht in der Lage, den Vorstellungen der Parteien als Eilverfahren, in dem schnell eine Feststellung von Mängeln und deren Verursachung erfolgen, zu genügen. In der Praxis kommt aufgrund dessen die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens nur noch für solche Mängel in Betracht, deren unverzügliche Beseitigung nicht kurz- oder mittelfristig erforderlich ist.

 

Rz. 51

Aufgrund dessen wäre es erforderlich, dass das selbstständige Beweisverfahren zumindest in der Form als Eilverfahren ausgestaltet wird, dass z.B. zwischen Eingang des Antrags auf Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens und Durchführung des Ortstermins durch einen Sachverständigen mit Aufnahme der Mängel drei bis vier Wochen liegen. Dies wäre möglich, wenn den Gerichten, Rechtsanwälten und Sachverständigen aufgegeben wäre, das selbstständige Beweisverfahren als ein solches Eilverfahren durchzuführen. So könnte dem Antragsgegner vorgegeben werden, auf den Antrag innerhalb einer Woche zu erwidern. Der Sachverständige müsste verpflichtet werden, innerhalb von z.B. zwei Wochen nach Beauftragung den Ortstermin durchzuführen.

 

Rz. 52

In den meisten Fällen der Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens zwischen den Parteien ist ein Rechtstreit noch nicht anhängig. Der Antragsteller rügt in der Regel Mängel, die seiner Auffassung nach der Antragsgegner an einem Bauvorhaben verursacht hat. Der Antragsgegner hat im Rahmen eines Bauvertrages Bauleistungen für den Antragsteller erbracht. Häufig ist der Antragsteller nicht sicher, wer den Mangel verursacht hat. In diesen Fällen wird der Antragsteller, der z.B. Bauherr ist, das selbstständige Beweisverfahren gegenüber mehreren Vertragspartnern anhängig machen, z.B. den planenden Architekten, den bauausführenden Architekten und einer oder mehreren ausführenden Firmen.

 

Rz. 53

Nach Einreichung des Antrags auf Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens stellt das Gericht dem Antragsgegner diesen Antrag mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zu. In der Regel werden hierfür Fristen von ein bis drei Wochen gewährt. Fristverlängerungsanträge des Antragsgegners werden ebenfalls in der Regel positiv beschieden. Nach Eingang der Antragserwiderung ergeht entweder der Beschluss im selbstständigen Beweisverfahren oder die Antragserwiderung wird dem Antragsteller nochmals zur Stellungnahme übersandt. In einer Vielzahl von Antragserwiderungen wird dem Antrag auf Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens mit der Begründung entgegengetreten, dass Mängel am Bauvorhaben nicht bestehen. Das Bestreiten der Mängel macht jedoch gerade deutlich, dass die Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens zur Klärung dieser streitigen Tatsache zwischen den Parteien erforderlich ist. Dennoch kann es sinnvoll sein, wenn auf Antragsgegnerseite im Einzelnen dargestellt wird, aufgrund welcher Tatsachen Mängel des Bauvorhabens nicht bestehen. D...

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