A. Rechtliche Grundlagen
Rz. 1
Das selbstständige Beweisverfahren wurde durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990, welches am 1.04.1991 in Kraft getreten ist, eingeführt. Es hat das frühere Beweissicherungsverfahren abgelöst. Das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz hat dazu geführt, dass die Anzahl der selbstständigen Beweisverfahren zugenommen hat. Aufgrund der praktischen Erfahrungen muss jedoch bezweifelt werden, ob mit dem selbstständigen Beweisverfahren tatsächlich das Ziel erreicht wurde, drohende streitige Verfahren zu vermeiden. In Bausachen wird vielfach im Anschluss an das selbstständige Beweisverfahren noch ein streitiges Verfahren geführt.
Rz. 2
Die Regelungen zum selbstständigen Beweisverfahren befinden sich in den §§ 485–494a ZPO. Danach kann eine Partei innerhalb oder bereits außerhalb eines streitigen Verfahrens die Begutachtung durch einen Sachverständigen, die Vernehmung von Zeugen oder die Einnahme des Augenscheins durch das Gericht erreichen. Sinn und Zweck dieses Verfahrens ist es, in Fällen mit einer gewissen Eilbedürftigkeit Beweise, die in einem möglichen späteren Prozess nur schwer oder gar nicht mehr erhoben werden können, abzusichern. Beide Parteien dürfen sich in einem folgenden Prozess auf das Ergebnis der Beweiserhebung berufen, als wenn der Beweis im Hauptprozess selbst erhoben worden wäre (§ 493 ZPO).
Rz. 3
Zudem erfolgt durch die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens eine Hemmung der Verjährung von Ansprüchen nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB.
B. Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens
I. Zulässigkeit während des Rechtsstreits
Rz. 4
Gem. § 485 Abs. 1 ZPO kann während eines Rechtsstreits ("Hauptsacheprozess") das selbstständige Beweisverfahren auf Antrag einer Partei angestrengt werden, wenn der Gegner zustimmt (§ 485 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird (§ 485 Abs. 1 Alt. 2 ZPO). Sofern die Zustimmung des Antragsgegners während des Rechtstreits nicht erteilt wird, kann das selbstständige Beweisverfahren somit auch bei drohendem Beweismittelverlust in Gang gesetzt werden. Das Verfahren wegen drohenden Beweismittelverlustes hat jedoch an Praxisrelevanz verloren, da das Verfahren zur Feststellung nach § 485 Abs. 2 ZPO wiederum gegenständliche Erweiterungen erfahren hat und hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen erleichtert wurde.
Rz. 5
Häufigste Fälle des drohenden Beweismittelverlustes sind die Veränderung durch Baufortschritt oder durch nicht aufzuschiebende Mängelbeseitigungsmaßnahmen. Als Beweismittel kommen im Fall des § 485 Abs. 1 ZPO nur der Augenschein-, Zeugen-, oder Sachverständigenbeweis in Betracht; der Urkundenbeweis und die Parteivernehmung sind unzulässig.
Rz. 6
Inhaltlich kann in den Fällen des § 485 Abs. 1 Alt. 2 ZPO bei drohendem Beweismittelverlust Beweis erhoben werden sowohl über den Mangel als auch über seine Ursachen, den Beseitigungsaufwand, als auch über die Verantwortlichkeit für die Mängel.
II. Zulässigkeit außerhalb des Rechtsstreits ohne Zustimmung des Gegners
Rz. 7
Das selbstständige Beweisverfahren ist auch außerhalb eines Rechtstreits zulässig, wenn ein rechtliches Interesse daran besteht, dass
1. |
der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, |
2. |
die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, |
3. |
der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird (§ 485 Abs. 2 ZPO). |
Rz. 8
Ein rechtliches Interesse ist nach § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Dieses Verfahren zur Feststellung kann wohl in der Praxis als die relevanteste Form des selbstständigen Beweisverfahrens angesehen werden.
Rz. 9
Das Feststellungsverfahren des § 485 Abs. 2 ZPO ermöglicht ein von einem Beweissicherungsbedürfnis unabhängiges selbstständiges Beweisverfahren durch Erhebung (nur) des Sachverständigenbeweises. Dieses Verfahren ist ausschließlich vorprozessual zulässig. Ziel des Verfahrens ist die Entlastung der Gerichte.
Rz. 10
Der Begriff des rechtlichen Interesses wird von der h.M. weit ausgelegt und im Regelfall bejaht. Das rechtliche Interesse wird von der Rechtsprechung nur verneint, wenn kein Rechtsverhältnis, kein möglicher Prozessgegner oder bereits gar kein Anspruch gegeben ist.
Rz. 11
Nach § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kann neben der Feststellung des Zustands einer Person auch der Zustand einer Sache Gegenstand des Verfahrens und Inhalt des Antrags sein. Einerseits müssen im Rahmen des Antrags in Abgrenzung zur bloßen Ausforschung substantiierte Behauptungen aufgestellt werden. Andererseits genügt im Hinblick auf die...