Carolin Ott, Anja Surwehme
Rz. 43
& Zu 1.
Der Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ist regelmäßig dann angezeigt, wenn der Bescheid bereits rechtskräftig und damit grundsätzlich unanfechtbar ist. Die Voraussetzung der Unanfechtbarkeit ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut. Soweit allerdings noch Rechtsbehelfsfristen laufen, kann ein Antrag nach § 44 SGB X nur bei einer Rücknahme von Amts wegen erforderlich sein. Unerheblich ist, ob der Bescheid bereits durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde oder auf einem Vergleich beruht. Es besteht nur dann mangels Rechtsschutzbedürfnisses kein Überprüfungsanspruch mehr, wenn die Rücknahme des Bescheides keine Auswirkungen mehr haben kann.
Rz. 44
& Zu 2.
Voraussetzung des Antrags nach § 44 SGB X ist, dass ein belastender Bescheid, der bereits rechtskräftig ist, auf einer unrichtigen Rechts- oder Sachverhaltsanwendung der erlassenden Behörde beruht und aus diesem Grund rechtswidrig ist. Infolgedessen ist der Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. In folgenden Fällen wird die Rechtswidrigkeit angenommen:
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Die Entscheidung verletzt formelles oder materielles Recht, |
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eine Ermessensentscheidung beruht auf Ermessensfehlern, |
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die Rechtsprechung, auf welcher der Bescheid beruht, wurde zwischenzeitlich aufgegeben oder verändert, |
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die Entscheidung verstößt gegen die ständige Verwaltungspraxis. |
Rz. 45
& Zu 3.
Der § 44 SGB X ist grundsätzlich in allen in den Sozialgesetzbüchern geregelten Rechtgebieten anwendbar. Dies betrifft z.B. das Recht der Krankenversicherung, Rentenversicherung, Sozialhilfe, Grundsicherung, Pflegeversicherung und Unfallversicherung. Die Anwendbarkeit gilt auch für die Bereiche des SGB II und des SGB XII. Die früher vom BVerwG für das BSHG gesehene Ausnahme für die Gebiete Sozialhilfe und Arbeitslosengeld berief sich auf § 5 BSHG, wonach Sozialhilfe nicht für die Vergangenheit gewährt werden konnte. Das BSG hat sich von dieser Rechtsprechung inzwischen vollständig verabschiedet. Für die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und dem SGB XII ist jedoch zu beachten, dass die rückwirkende Überprüfung durch § 40 Abs. 1 SGB II und § 116a SGB XII spezialgesetzlichen Einschränkungen unterliegt.
Die Abgrenzung zwischen der Anwendbarkeit des § 44 oder des § 45 SGB X erfolgt danach, ob der Bescheid eine begünstigende oder eine belastende Wirkung hat. Nur bei belastender Wirkung ist der Antrag nach § 44 SGB X zulässig.
Beispiele für belastende Bescheide:
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Entziehung von Sozialleistungen |
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Veranlagung von Beiträgen |
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Leistungsgewährung geringer als beantragt |
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Feststellung, dass ein Anspruch nicht besteht |
Rz. 46
& Zu 4.
Der Antrag ist nach § 44 Abs. 3 SGB X an die Behörde zu richten, die den Bescheid erlassen hat. Zuständig ist demgemäß die Ausgangs-, nicht die Widerspruchsbehörde. Die zuständige Behörde ist auch dann der richtige Adressat, wenn der Bescheid ursprünglich von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde.
Rz. 47
& Zu 5.
Die Einleitung des Überprüfungsverfahrens erfolgt auf Antrag oder von Amts wegen. Eine Antragsfrist bestimmt § 44 SGB X nicht. Allerdings können Rückzahlungen für längstens vier Jahre – im SGB II und SGB XII ein Jahr – rückwirkend geltend gemacht werden. Hierzu findet sich eine ausdrückliche Regelung in § 44 Abs. 4 SGB X (bzw. § 40 SGB II oder § 166a SGB XII). Bei einer Überprüfung von Amts wegen wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, so gilt als Rücknahmezeitpunkt der Antragszeitpunkt.
Eine Begründung des Antrags ist dem Wortlaut nach nicht vorgesehen. Dennoch muss gemäß der Rechtsprechung des BSG eine Konkretisierung des Bescheids, der überprüft werden soll, erfolgen; ebenso muss dargelegt werden, aus welchen Gründen der Bescheid rechtswidrig ist oder inwiefern die Ausgangsbehörde von falschen Tatsachen ausgegangen ist. Bei der Überprüfung des ursprünglichen Bescheides ist die Behörde nicht auf die vom Betroffenen vorgebrachten Einwände beschränkt. Ist ein Überprüfungsantrag jedoch nicht substantiiert und die frühere Entscheidung nicht offensichtlich unrichtig, darf sich die Behörde ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung des § 77 SGG mit entsprechender Begründung berufen.
Rz. 48
& Zu 6.
§ 63 SGB X ist auf das Widerspruchsverfahren beschränkt und daher auf den Überprüfungsantrag nicht anwendbar. Eine Kostenerstattung im Überprüfungsverfahren findet nicht statt, kann aber im Fall eines erfolgreichen Rechtsmittels gegen die abgelehnte Überprüfung wiederum nach allgemeinen Maßstäben gegeben sein.