Rz. 6

Über die Dogmatik der Sorgerechtsvollmacht bestand in Rechtsprechung und Literatur lange erhebliche Uneinigkeit.[6]

Der BGH hat der teilweise vertretenen Auffassung, die Sorgerechtsvollmacht stelle regelmäßig eine Ermächtigung analog § 125 Abs. 2 S. 2 HGB dar, eine Absage erteilt.[7] Überzeugend führt der XII. Zivilsenat aus, dass es im Bereich der gesetzlichen (Gesamt-)Vertretung von Minderjährigen durch ihre Eltern nach § 1629 BGB an einer für eine analoge Anwendung von § 125 Abs. 2 S. 2 HGB erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehlt. Denn die gesetzlichen Regeln zur Stellvertretung nach §§ 164 ff. BGB finden unmittelbare Anwendung und ermöglichen neben der Bevollmächtigung von Dritten ebenfalls die Bevollmächtigung des einen Elternteils durch den anderen.[8]

 

Rz. 7

Nach Auffassung des BGH besteht keine Notwendigkeit, dass der bevollmächtigte Elternteil außer im Namen des Kindes auch im Namen des vollmachtgebenden Elternteils handelt.[9] Der bevollmächtigte Elternteil vertrete das Kind unmittelbar allein.[10] Der BGH geht – ohne nähere Begründung – davon aus, dass die eigene gesetzliche Vertretungsmacht des handelnden Elternteils und die vom anderen Elternteil erteilte Untervollmacht zu einer einheitlichen Alleinvertretungsmacht führen.[11] Im Ergebnis ist dies sachgerecht und vermeidet unnötigen Formalismus.[12] Gerade die einheitliche Alleinvertretung war allerdings Konsequenz der vom BGH abgelehnten "Ermächtigungslösung",[13] weswegen eine dogmatische Begründung der angenommenen einheitlichen Alleinvertretungsmacht durchaus angezeigt war. Im Schrifttum wird das bedauerliche Fehlen einer solchen Begründung, durch die Annahme geschlossen, dass aus der Entscheidung des BGH nur abgeleitet werden könne, dass er die Sorgerechtsvollmacht an einen Elternteil als Direktvertretung des Kindes verstanden haben möchte.[14] Zutreffend weist Eicher darauf hin, dass dies jedenfalls insoweit stimmig sei, als beide Elternteile gemeinsam auch einen fremden Dritten zur alleinigen Direktvertretung des Kindes bevollmächtigen können.[15]

[6] Löhnig, NJW 2020, 2150 m.w.N.
[9] BGH, Beschl. v. 29.4.2020 – XII ZB 112/19, NJW 2020, 2182, 2185 (Rn 27); a.A. Weber, FamRZ 2019, 1125, 1126 m.w.N.
[12] Eicher, MittBayNot 2020, 576.
[13] Vgl. etwa MüKo-BGB/Huber, 8. Aufl. 2020, § 1629 a.F. Rn 34; Weber, FamRZ 2019, 1125, 1126 m.w.N.
[14] Vgl. Eicher, MittBayNot 2020, 576; Löhnig, NJW 2020, 2150.
[15] Eicher, MittBayNot 2020, 576.

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