Rz. 359
Durch die Regelung des § 85a ZVG wurde zum Schutz des Schuldners vor einer Verschleuderung des Grundstücks ein so genanntes absolutes Mindestgebot eingeführt. Denn die Zwangsversteigerung soll nicht nur zu einem Erlös, sondern auch zu einem wirtschaftlich vertretbaren Ergebnis führen.
Eine ergebnislose Versteigerung wird von § 85a ZVG nicht erfasst und führt deshalb auch nicht zu einem Wegfall der Wertgrenzen. Eine ergebnislose Versteigerung in diesem Sinne ist auch dann gegeben, wenn der Gläubiger die Einstellung des Verfahrens bewilligt und die Entscheidung darüber nach § 33 ZVG durch Versagung des Zuschlags erfolgt.
Rz. 360
Nach dem Gesetzestext muss der Zuschlag von Amts wegen versagt werden, wenn das abgegebene wirksame Meistgebot einschließlich des Kapitalwertes der bestehen bleibenden Rechte die Hälfte des nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzten (§ 85a Abs. 2 ZVG) Grundstückswertes nicht erreicht (§ 85a Abs. 1 ZVG). Unwirksam ist das Gebot z.B. dann, wenn es ausschließlich darauf gerichtet ist, zugunsten des Gläubigers und zu Lasten des Schuldners die Rechtsfolgen von § 85a Abs. 1 und Abs. 2 ZVG herbeizuführen. Ob der Bieter zur Vertretung des Gläubigers berechtigt ist, ist insoweit ohne Bedeutung.
Ein Gebot, das objektiv nicht geeignet ist, den von § 85a ZVG intendierten Schuldnerschutz zu verkürzen, wird nicht dadurch rechtsmissbräuchlich, dass auf der Grundlage rechtsirriger Vorstellungen der Gläubigerin von einer Verkürzung des Schuldnerschutzes auszugehen wäre.
Rz. 361
Beispiel
Im Zwangsversteigerungsverfahren gegen den S wird der Verkehrswert auf 300.000,00 EUR festgesetzt.
|
5/10 hiervon sind |
150.000,00 EUR |
An Belastungen ergeben sich aus dem Grundbuch:
|
III/1 |
70.000,00 EUR |
|
III/2 |
30.000,00 EUR |
|
III/3 |
40.000,00 EUR |
Wenn III/3 das Verfahren betreibt, ergibt sich folgendes geringstes Gebot:
|
Bestehen bleibende Rechte: |
100.000,00 EUR |
Mindest-Bargebot (angenommen):
|
Grundsteuern, Kosten, wiederkehrende Leistungen |
2.000,00 EUR |
|
Leistungen aus Rechten III/1 und III/2 |
20.000,00 EUR |
|
Das Meistgebot beträgt: |
30.000,00 EUR |
|
Die Summe des Meistgebots und der |
|
|
bestehen bleibenden Rechte beträgt: |
130.000,00 EUR |
Rz. 362
Der Zuschlag darf aber nicht versagt werden, wenn das Meistgebot von einem zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten abgegeben worden ist und sein Gebot einschließlich des Kapitalwertes der bestehen bleibenden Rechte zusammen mit dem Betrag, mit dem der Meistbietende bei der Erlösverteilung ausfallen würde, die Hälfte des Grundstückswertes erreicht (§ 85a Abs. 3 ZVG). In einem solchen Fall tritt nämlich die so genannte Befriedigungsfiktion nach § 114a ZVG ein (vgl. auch Rdn 476 f.).
Rz. 363
Beispiel
Wie Rdn 361.
|
Bestehen bleibende Rechte: |
100.000,00 EUR |
Mindest-Bargebot (angenommen):
|
Grundsteuern, Kosten, wiederkehrende |
2.000,00 EUR |
|
Leistungen |
|
|
Leistungen aus Rechten III/1 und III/2 |
20.000,00 EUR |
|
Gläubiger III/3 bietet: |
30.000,00 EUR |
|
Die Summe des Meistgebots und der |
|
|
bestehen bleibenden Rechte beträgt: |
130.000,00 EUR |
Der Zuschlag ist nach § 85a Abs. 3 ZVG dem III/3 zu erteilen. Denn bei der Erlösverteilung würde dieser mit 40.000,00 EUR ausfallen. Dieser Betrag ist der Summe des Meistgebots und bestehen bleibender Rechte zuzuschlagen, so dass mit 170.000,00 EUR die Hälfte des Grundstückswerts erreicht ist.
Rz. 364
Die verfahrensmäßige Behandlung entspricht der bei der Zuschlagsversagung nach § 74a ZVG (vgl. §§ 85 Abs. 2, 74a Abs. 3 ZVG). Auch hierbei gilt die Einmaligkeit der Anwendbarkeit mit der Maßgabe, dass in dem neuen von Amts wegen anzuberaumenden Versteigerungstermin eine Zuschlagsversagung weder aus den Gründen des § 85a ZVG noch – auf Antrag – aus denen des § 74a Abs. 1 ZVG erfolgen darf.
Rz. 365
Hinweis
Oftmals werden in der Praxis Gebote bewusst unterhalb dieser Grenze als taktisches Mittel eingesetzt. Dies ist im Hinblick auf die Regelung des § 85a Abs. 2 S. 2 ZVG zu verstehen. Denn in einem von Amts wegen neu anzuberaumenden Termin darf der Zuschlag weder aus den Gründen des § 74a ZVG noch aus den Gründen des § 85a ZVG erneut versagt werden. Dies hat zur Folge, dass ein Zuschlag aufgrund eines Gebotes erfolgen kann, welches unter der 5/10-Grenze liegt.
Rz. 366
Es ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn ein Bieter von vornherein weiß, dass auf sein Gebot keine Zuschlagserteilung erfolgen kann. Denn die Abgabe eines Gebots allein zur Herbeiführung der Zuschlagsversagung ist grundsätzlich kein sachfremder, sondern ein durch das Gesetz sanktionierter Zweck. Wenn demnach der Bietende am Erwerb interessiert ist, so ist es auch legitim, wenn er versucht, das Grundstück so günstig wie möglich zu erwerben. Allerdings muss hier stets die unter Rdn 312 beschriebene BGH-Rechtsprechung beachtet werden.