Dr. iur. Holger Bremenkamp
Rz. 62
Die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht – behandelt wird nachstehend nur die Eingriffs- oder Risikoaufklärung und nicht auch die therapeutische oder Sicherungsaufklärung, die Teil der Behandlung ist – ist neben dem Behandlungsfehler der zweite Anknüpfungspunkt für die zivilrechtliche Haftung des Arztes oder Krankenhausträgers. Die Behauptung eines Aufklärungsfehlers ist für den Patienten beweisrechtlich günstiger als der Vorwurf eines Behandlungsfehlers, weil der Arzt hinreichende Aufklärung beweisen muss (§ 630h Abs. 2 S. 1 BGB). Deshalb spielt der sog. Aufklärungsfehler – richtiger: die fehlende Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs durch Einwilligung – im Arzthaftungsrecht eine erhebliche Rolle. Er hat sich faktisch zum Auffangtatbestand für den Fall entwickelt, dass dem Arzt im Verlauf des Verfahrens ein Behandlungsfehler nicht nachzuweisen ist. Solche nachträglichen Aufklärungsrügen drohen zum bloßen Vorwand zu werden, um das Risiko unvermeidbarer Fehlschläge auf den Arzt abzuwälzen. Allerdings entsprechen die heute verwendeten standardisierten Aufklärungsbögen durchweg den inhaltlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung, auch wenn sie die daneben gebotene mündliche Aufklärung nicht ersetzen.
I. Die ärztliche Aufklärungspflicht
Rz. 63
Die ärztliche Heilbehandlung ist nach Rechtsprechung und herrschender Lehre tatbestandsmäßig Körperverletzung, auch wenn sie der Heilung oder der Besserung des Gesundheitszustands des Patienten dient und kunstgerecht durchgeführt wird. Der medizinische Eingriff ist aber gerechtfertigt, wenn der Patient wirksam eingewilligt hat: Die Einwilligung in die Heilbehandlung beseitigt die Widerrechtlichkeit der Körperverletzung. Bei der Haftung aus Aufklärungsfehlern geht es demgemäß um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, der nicht durch eine rechtfertigende Einwilligung des Patienten gedeckt ist, also um das Verbot ärztlicher Eigenmacht. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet den Behandelnden auch vertraglich zur Einholung der Einwilligung des Patienten, die jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden kann (§ 630d Abs. 4 BGB).
Rz. 64
Eine wirksame Einwilligung setzt gem. § 630d Abs. 2 BGB voraus, dass der Patient (oder im Falle seiner Einwilligungsunfähigkeit der zur Einwilligung Berechtigte, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB) nach Maßgabe von § 630e Abs. 1 bis 4 BGB aufgeklärt wurde. Nur dann kann der Patient eine freie und selbstverantwortliche Entscheidung treffen, ob er dem Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit zustimmen soll. Die Aufklärungspflicht des Arztes wurzelt im Selbstbestimmungsrecht, im Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie im Schutz der Menschenwürde des Patienten gem. den Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 und Abs. 2 S. 1 GG. Dem entspricht es, dass die Aufklärung gem. § 630e Abs. 3 BGB unter anderem dann ausnahmsweise entbehrlich ist, wenn der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat.
Rz. 65
Die ärztliche Aufklärung soll dem Patienten eine selbstverantwortliche Entscheidung ermöglichen. Aufzuklären ist daher gem. § 630e Abs. 1 S. 1 BGB über alle für die Einwilligung wesentlichen Umstände. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie (§ 630e Abs. 1 S. 2 BGB). Der Arzt schuldet dem Patienten Auskunft über den Befund (Diagnoseaufklärung), die Art und den Verlauf des geplanten Eingriffs (Verlaufsaufklärung), dessen Risiken und mögliche Nachwirkungen (Risikoaufklärung) sowie über die Dringlichkeit des Eingriffs. Zu erläutern sind dem Patienten die aufklärungsbedürftigen Umstände gem. § 630e Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5 BGB verständlich und entsprechend seinem Verständnis, nämlich soweit dieser aufgrund seines Entwicklungsstands und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen, unter Berücksichtigung seiner konkreten beruflichen und privaten Lebenssituation (patientenbezogene Aufklärung), also unter Umständen in leichter Sprache und erforderlichenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers. Der Patient muss den medizinischen Eingriff nicht in allen Einzelheiten verstehen, eine Aufklärung in den Grundzügen reicht aus: Der Patient muss "im Großen und Ganzen" wissen, worin er einwilligt. Eine überblicksartige Darstellung potenzieller Folgen, verbunden mit einer Einschätzung, wie groß die Eintrittsgefahr konkret ist, genügt. Wahrscheinlichkeitsangaben zu Behandlungsrisiken haben sich grundsätzlich nicht an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen zu orientieren, was auch für solche Angaben in einem schriftli...