Dr. iur. Holger Bremenkamp
Rz. 81
Eine Schnittstelle zwischen Arzthaftung und Haftung aus schuldhafter Unfallverursachung bildet die Konstellation einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung nach vorangegangenem fremdverschuldeten Unfall. Grundsätzlich erstreckt sich die Schadensersatzpflicht des Unfallverursachers auf alle Schäden, die durch den Unfall entstanden sind. Dazu gehören auch diejenigen Schäden, die bei fehlerfreier ärztlicher Behandlung vermieden worden wären: Auch sie hatten ihre Ursache im Unfall und sind dem Unfallverursacher daher haftungsrechtlich zuzurechnen. Ausnahmsweise kann der Zurechnungszusammenhang allerdings fehlen, wenn nämlich der Arzt in außergewöhnlich hohem Maß die an ihn zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen hat; solche schwersten Fehler im oberen Bereich der groben Fahrlässigkeit können den Haftungszusammenhang unterbrechen. Liegt dagegen – wie im Regelfall – das Gewicht des ärztlichen Fehlers unter dieser Schwelle, haftet der Unfallverursacher auch für den Schaden des Verletzten, der erst durch die nachfolgende fehlerhafte ärztliche Behandlung entstanden ist.
Rz. 82
Neben die deliktische Haftung des Unfallverursachers tritt die des Arztes (und gegebenenfalls die des Krankenhausträgers). Unfallverursacher und Arzt sind gem. § 840 BGB Gesamtschuldner in der Höhe, in der sich die gegen sie gerichteten Ersatzansprüche decken. Da § 840 BGB sämtliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung ergreift, besteht auch dann eine Gesamtschuld zwischen Erstschädiger und nachbehandelndem Arzt, wenn der Arzt nur aus Aufklärungsfehler haftet: Denn unabhängig von der Streitfrage, ob der ohne wirksame Einwilligung vorgenommene Eingriff eine nicht gerechtfertigte Körperverletzung oder eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts darstellt, stützt sich die Haftung wegen Aufklärungsmangel jedenfalls auch auf Deliktsrecht.
Rz. 83
Für die Haftungsverteilung im Innenverhältnis der Schädiger (§ 426 BGB) sind entsprechend § 254 Abs. 1 BGB der Verursachungsbeitrag und das Verschuldensmaß des Unfallverursachers gegen den Beitrag des behandelnden Arztes als Zweitschädiger abzuwägen. Diese Abwägung kann bis zur vollständigen Freistellung eines Gesamtschuldners gehen: Hat sich etwa die fehlerhafte ärztliche Behandlung nur (noch) unmaßgeblich zum Nachteil des durch den Unfall vorgeschädigten Patienten ausgewirkt, kann der Verursachungs- und Schuldbeitrag des Unfallverursachers derart überwiegen, dass ein teilweiser Haftungsausgleich durch den Arzt sachlich nicht geboten ist; denkbar sind aber auch umgekehrte Konstellationen (leichte Fahrlässigkeit des Unfallverursachers und leichte Verletzungen, die wegen eines groben Behandlungsfehlers eine drastische Verschlimmerung erfahren). Treffen Unfallverursachung und Aufklärungsfehler zusammen, so ist zu berücksichtigen, dass Schuldvorwurf und Schuldgehalt einer Aufklärungspflichtverletzung von jenen eines Behandlungsfehlers wesentlich verschieden sind; auch erhöht der ohne ausreichende Aufklärung, aber lege artis durchgeführte Eingriff das Gesundheitsrisiko typischerweise nicht. Das muss bei der internen Haftungsverteilung zugunsten des Arztes zum Ausdruck kommen.
Rz. 84
Nicht höchstrichterlich entschieden ist, ob dem Unfallverursacher bei grobem Behandlungsfehler die dem Patienten aus Billigkeitsgründen gewährte Beweislastumkehr zugutekommt oder sie nur im Außenverhältnis zu dem Geschädigten gilt. Für Letzteres könnte sprechen, dass der Bundesgerichtshof es in einem Fall, in dem der einweisende Arzt von organisatorischen Defiziten der Klinik Kenntnis hatte, dessen regressierendem Versicherer keine Beweislastumkehr gewährt hat. Freilich hat der Bundesgerichtshof das mit dem eigenen Beitrag des einweisenden Arztes zur mangelnden Aufklärbarkeit des Behandlungsgeschehens begründet, weshalb diese Entscheidung auf den Innenausgleich zwischen Unfallverursacher und Arzt nicht unmittelbar übertragbar ist. Zu einer Privilegierung des Arztes dürfte aber führen, dass nach dem § 840 Abs. 2 und 3 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken derjenige, der wegen erwiesenen Verschuldens haftet, im Innenverhältnis zu demjenigen, der nur aus Gefährdung oder vermutetem Verschulden haftet, den ganzen Schaden zu tragen hat.