Rz. 77

Im Fall eines medizinischen Eingriffs nach nicht hinreichender Aufklärung haftet der Arzt bei Verschulden grundsätzlich für sämtliche Schadensfolgen. Dies gilt auch, wenn die Behandlung an sich lege artis ausgeführt war. Denn der nicht durch eine wirksame Einwilligung gedeckte Eingriff durfte überhaupt nicht durchgeführt werden; wäre er pflichtgemäß unterblieben, wäre ein Körperschaden nicht eingetreten.[294] Ausnahmsweise kommt aber eine Begrenzung der Haftung des Arztes bei Aufklärungsfehlern aus dem Gesichtspunkt des fehlenden Zurechnungszusammenhangs in Betracht. Die Frage des Zurechnungszusammenhangs stellt sich etwa, wenn der Arzt zwar nicht hinreichend aufgeklärt hat, sich aber nicht das Risiko verwirklicht hat, auf das der Patient hätte hingewiesen werden müssen, sondern ein nicht aufklärungsbedürftiges anderes Risiko.

 

Rz. 78

Die Rechtsprechung stellt für diese Fallgruppe darauf ab, ob zumindest die notwendige Grundaufklärung erfolgt war. Diese soll dem Patienten einen zutreffenden Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermitteln, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen können. Auch bedarf es eines Hinweises auf das schwerste in Betracht kommende Risiko. Fehlte es bereits an dieser Grundaufklärung, kommt eine Haftungsbegrenzung nicht in Betracht: Der Arzt haftet dann vielmehr auch, wenn sich ein äußerst seltenes, nicht aufklärungsbedürftiges Risiko verwirklicht hat.[295]

 

Rz. 79

Der Zurechnungszusammenhang fehlt dagegen, wenn der Patient wenigstens die Grundaufklärung über die Art und Schwere des Eingriffs erhalten hat und sich dann ein Risiko realisiert hat, über das nicht aufzuklären war und das dem aufklärungsbedürftigen Risiko auch nicht nach Bedeutung und Auswirkung ähnlich war. Denn in einem solchen Fall ist die Berufung auf fehlerhafte Aufklärung angesichts ihres Zwecks rechtsmissbräuchlich.[296] Das gilt erst recht, wenn gerade über das Risiko, das sich verwirklicht hat und über das aufgeklärt werden musste, tatsächlich aufgeklärt wurde: Dann spielt es keine Rolle, ob bei der Aufklärung auch andere Risiken hätten erwähnt werden müssen. Vielmehr hat der Patient in Kenntnis des verwirklichten Risikos in den Eingriff eingewilligt und kann aus ihm daher auch keine Haftung herleiten.[297]

[295] BGHZ 106, 391, 399; BGH, Urt. v. 14.11.1995 – VI ZR 359/94, NJW 1996, 777, 779; BGH, Urt. v. 12.3.1991 – VI ZR 232/90, NJW 1991, 2346, 2347; BGH, Urt. v. 28.05.2019 – VI ZR 27/17, MedR 2020, 32; Pauge/Offenloch, Rn 500; Geiß/Greiser, Kap. C Rn 156.
[296] BGH, Urt. v. 12.3.1991 – VI ZR 232/90, NJW 1991, 2346, 2347; BGH, Urt. v. 14.11.1995 – VI ZR 359/94; BGH, Urt. v. 30.1.2001 – VI ZR 353/99, VersR 2001, 592, 593; OLG Köln, Urt. v. 12.1.2011 – 5 U 37/10, MedR 2012, 121; Pauge/­Offenloch, Rn 498.
[297] BGHZ 144, 1, 7 mit Anm. Terbille, MDR 2000, 2012; BGH, Urt. v. 30.1.2001 – VI ZR 353/99, VersR 2001, 592 f. mit Anm. Gehrlein; BGHZ 168, 103 Rn 18; Geiß/Greiser, Kap. C Rn 157.

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