Rz. 42

Die Besorgnis der Befangenheit kann auch gerechtfertigt sein, wenn der Sachverständige über den ihm erteilten Gutachtenauftrag hinausgeht, ohne zuvor auf eine gerichtliche Ergänzung der Beweisfrage hingewirkt zu haben.

Zitat

"Die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen ist aus Sicht der Klägerin hier jedoch deshalb gegeben, weil der Gutachter in seinem – an sich billigenswerten – Bestreben, zu einer zügigen und gerechten Entscheidung des Rechtstreites beizutragen, über die einem Sachverständigen gezogenen Grenzen hinausgegangen ist. Er hat sich nämlich nicht darauf beschränkt, die ihm vom Landgericht gestellte Beweisfrage nach der Ausgangsgeschwindigkeit bzw. der Aufprallgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeuges bei dem Unfall vom 26.10.1992 zu ermitteln. Vielmehr hat er in ­seinem "Medizinisch-Technischen-Biomechanikgutachten" festgestellt, dass eine leichte HWS-Distorsion bei der Klägerin nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Dauer von deren Beschwerden jedoch sachverständigerseits nicht mit dem Kollisionsablauf in Einklang zu stehen scheine, weil die Schmerzen entsprechend der hierzu korrelierenden Erkenntnisse aus der Unfallforschung binnen maximal zwei Wochen vollständig hätten abgeklungen sein müssen. Auch wenn der Sachverständige insoweit die Einholung eines fachmedizinischen Zusatzgutachtens empfiehlt (…) ist der Sachverständige mit diesen Feststellungen doch eindeutig über den ihm erteilten Gutachtenauftrag hinausgegangen. Dies gilt umso mehr, als sein Gutachten eine unfallkinematische und biomechanische Bewertung des Unfallgeschehens hinsichtlich der Eintretenswahrscheinlichkeit einer Halsverletzung beinhaltet. Dass diese Bewertung nicht von den Beweisbeschlüssen des Landgerichts vom 25.01. und 29.3.2001 gedeckt ist, bedarf keiner näheren Begründung. Mit dieser Vorgehensweise hat der Sachverständige dem Gericht vorbehaltene Aufgaben wahrgenommen und dem Landgericht den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtstreits gewiesen (vgl. die vergleichbar gelagerten Fallkonstellationen, die den Beschlüssen des OLG Köln NJW-RR 1987, 1198 und des OLG Bamberg MedR 1993, 351 zugrunde lagen). Richtigerweise hätte der Gutachter auf eine Ergänzung der Beweisfragen hinwirken, es aber letztlich dem LG überlassen müssen, ihn auch insoweit zu beauftragen."[62]

Zitat

"Macht ein Kraftfahrzeug-Sachverständiger, der ein Gutachten [nur] zur Schadenshöhe erstatten soll, bewusst Ausführungen, die nicht [nur] die Schadenshöhe sondern [auch] den Haftungsgrund betreffen, so kann er [von demjenigen, dem die über den Gutachtenauftrag hinausgehenden Ausführungen ungünstig sind,] wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt werden."[63]

 

Rz. 43

Nicht jede Tätigkeit des Sachverständigen, die über den Parteivortrag hinausgeht, führt dazu, dass die Besorgnis der Befangenheit begründet ist. Das OLG Stuttgart hat es für zulässig erachtet, dass ein Sachverständiger zur Vorbereitung eines unfallanalytischen Gutachtens gemeinsam mit dem sachbearbeitenden Polizeibeamten die Unfallstelle besichtigt und ihn dabei befragt, ohne die Parteien hiervon zu verständigen.

Zitat

"Aufgabe des Sachverständigen ist es, sein volles Sachwissen zur Aufklärung des umstrittenen Sachverhaltes einzubringen. Dazu gehört es auch, Fragen aufzuwerfen, die sich für ihn aus seiner Sachverständigensicht zur Aufklärung des Sachverhaltes stellen, auch wenn sie von den Parteien nicht ausdrücklich angesprochen bzw. – unter Umständen mangels – eigener Sachkenntnisse nicht gesehen wurden. Gerade aus diesem Grund werden Sachverständige hinzugezogen. Deshalb ist zum Beispiel dem Sachverständigen auch in der mündlichen Verhandlung das Fragerecht zu gewähren, über das er aus seiner Sicht wesentliche Anknüpfungstatsachen klären kann, um den Streitsachverhalt beurteilen zu können. Demgemäß gehört es auch zu seinen Aufgaben, Anregungen zu geben, wie ein umstrittener Sachverhalt gegebenenfalls der weiteren Aufklärung zugeführt werden kann. Ein Eingriff in das den Parteien vorbehaltene Beibringungsrecht liegt hierin nicht. Durch dieses ist der Sachverständige zwar grundsätzlich gehindert, von den Parteien nicht gehaltenen Tatsachenvortrag zugrunde zu legen. "Unantastbarer" Sachvortrag in diesem Sinne ist jedoch nur der Parteivortrag, an den die Parteien ihre unmittelbaren rechtlichen Folgerungen anknüpfen, vorliegend also ihre Schilderung des streitigen Unfallhergangs als solche. Wird hierüber jedoch Beweis durch Einschaltung eines Sachverständigen erhoben, so hat dieser allen ihm zugänglichen Ansatzpunkten, die zur Aufklärung beitragen, nachzugehen und die Konsequenzen aus ihnen zu ziehen, auch wenn die Fragen, an die er dabei anknüpft nicht ausdrücklich von den Parteien angesprochen wurden. Da es Sinn der Einschaltung eines Sachverständigen ist, seine überlegene Sachkunde zur Aufklärung des Sachverhaltes umfassend zu nutzen, ist mit dem Auftrag des Gerichts an ihn deshalb stets die Aufgabe verbunden, den Parteibehauptungen über ein be...

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