Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 72
Die Ehescheidung als solche kann nicht Gegenstand eines Vergleiches oder einer Einigung sein, da den Eheleuten von unserer Rechtsordnung nicht freigestellt ist, über den Bestand ihrer Ehe Vereinbarungen zu treffen (vgl. Rdn 58 ff.). Dagegen dürfen und sollen die Eheleute sich über die Scheidungsfolgesachen einigen. Dies kann auch schon vor dem Scheidungsverfahren durch Vereinbarungen der Eheleute geschehen.
Sollen solche Scheidungsvereinbarungen als Scheidungsfolgenvergleich im Sinne des § 779 BGB gelten, dann muss die Voraussetzung erfüllt sein, dass die Eheleute einen Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt haben. Für das Entstehen der Einigungsgebühr ist jedoch ein gegenseitiges Nachgeben nicht unbedingt Voraussetzung, auch ein einseitiges Nachgeben ist ausreichend – solange es keinen vollständigen Verzicht oder Anerkenntnis darstellt (vgl. § 2 Rdn 166 ff.).
Es liegt kein Vergleich vor, wenn die Eheleute sich über ein Rechtsverhältnis nie gestritten haben, sondern sich von vornherein einig waren. Bestand also z. B. von Anfang an Einigkeit der Eheleute über die Regelung der elterlichen Sorge, so darf der RA dann keine Einigungsgebühr für diese Angelegenheit berechnen, wenn eine Seite das Verlangen der anderen Seite ohne Widerspruch anerkennt oder auf eigene Wünsche verzichtet. Dies ergibt sich aus der Definition der Einigungsgebühr in Nr. 1000 Anm. Abs. 1 Ziff. 1 VV RVG, wonach mit der Einigung der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden soll.
Merke:
In der Scheidungssache selbst ist kein Vergleich bzw. keine Einigung möglich, wohl aber über die Scheidungsfolgen. Dies nennt man Scheidungsfolgenvergleich.
Rz. 73
In der Ehesache selbst gibt es also keinen Vergleich – schließlich kann man sich in der Frage der Scheidung nicht gegenseitig entgegenkommen und sich nur ein bisschen scheiden lassen – sondern nur die Möglichkeit der Aussöhnung. Der Unterschied zwischen der Aussöhnungsgebühr der Nr. 1001 VV RVG und der Einigungsgebühr der Nr. 1000 VV RVG lässt sich auch so erklären:
Merke:
Die Aussöhnungsgebühr erhält der RA für die Verhinderung der Scheidung, die Einigungsgebühr für die (möglichst) reibungslose Abwicklung ihrer Folgen.
I. Gebühren bei Scheidungsfolgenvereinbarungen
Rz. 74
Ein Scheidungsfolgenvergleich wird in der Regel unter der Bedingung geschlossen, dass er erst bei Rechtskraft des gerichtlichen Scheidungsbeschlusses wirksam wird. Kommt es also aus irgendeinem Grund nicht zum rechtskräftigen Scheidungsbeschluss, dann ist auch der Vergleich nicht wirksam und eine Einigungsgebühr entsteht nicht (Nr. 1000 Anm. Abs. 3 VV RVG). Deswegen kann die Einigungsgebühr auch als Erfolgsgebühr bezeichnet werden.
Scheidungsfolgenvereinbarungen können auf zwei verschiedene Weisen getroffen werden:
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durch Verhandlungen über anhängige oder nicht anhängige Scheidungsfolgesachen innerhalb des gerichtlichen Scheidungsverfahrens oder |
▪ |
durch selbstständige außergerichtliche Verhandlungen bzw. Besprechungen zwischen den Anwälten der Ehegatten über bestimmte Scheidungsfolgesachen. |
1. Gebühren bei gerichtlichen Scheidungsfolgenvereinbarungen
Rz. 75
Wird für anhängige Folgesachen ein Scheidungsfolgenvergleich gerichtlich protokolliert, so ist die Berechnung der Anwaltsgebühren ganz einfach: Zusätzlich zu den entstandenen Gebühren für die Durchführung des Verfahrens (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr) erhält der RA eine 1,0 Einigungsgebühr (Nrn. 1000, 1003 VV RVG).
Beispiel:
Die Eheleute Dingskirchen haben die Scheidung beantragt. Vor der Eheschließung hatten sie den Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Kinder sind nicht vorhanden. Frau Dingskirchen fordert einen monatlichen Unterhalt von 600,00 EUR und Herr Dingskirchen einen Teil der Haushaltsgegenstände im Wert von 10.000,00 EUR. Das gemeinsame monatliche Nettoeinkommen der Eheleute beträgt 5.000,00 EUR. RA Krokus vertritt den Ehemann.
Im Scheidungstermin hört das Gericht die Eheleute an. Nach längerer Erörterung wird im Termin ein Vergleich geschlossen und zu gerichtlichem Protokoll gegeben, wonach die Ehefrau auf den Unterhalt und der Ehemann auf die Teilung der Haushaltsgegenstände verzichten. Die Ehe wird geschieden.
Der Wert der Ehesache beträgt 3 x 5.000,00 EUR = 15.000,00 EUR. Die Unterhaltssache wird mit 12 x 600,00 EUR = 7.200,00 EUR bewertet und die Haushaltssache mit 3.000,00 EUR (§§ 51, 48 FamGKG).
Gegenstandswert: 25.200,00 EUR / 10.200,00 EUR
1,3 |
Verfahrensgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 25.200,00 EUR) |
1.241,50 EUR |
1,2 |
Terminsgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 25.200,00 EUR) |
1.146,00 EUR |
1,0 |
Einigungsgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 10.200,00 EUR)* |
666,00 EUR |
20 % |
Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
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3.073,50 EUR |
19 % |
USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG |
583,97 EUR |
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3.657,47 EUR |
* |
Ohne Wert der Ehesache! |
Rz. 76
Wird in einem Eheverfahren ein Vergleich über nicht anhängige Folgesachen zu gerichtlichem Protokoll erklärt, so erwächst dem an dem Vergl...