Rz. 70

Es gibt Fälle, in denen ein Unterhaltsanspruch auf einer Seite oder auch auf beiden Seiten weder besteht noch zu erwarten ist, dass er künftig entstehen wird. Wenn sich ein Ehegatte in der gleichen Vereinbarung zur Zahlung von Unterhalt an den anderen Ehegatten oder zur Zahlung einer Unterhaltsabfindung verpflichtet und dann noch auf seinen eigenen Unterhaltsanspruch verzichtet hat, kann angenommen werden, dass dieser Ehegatte jetzt keinen Unterhaltsanspruch hat und dass ihm auch künftig ein Unterhaltsanspruch nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen entstehen könnte (§ 1573 Abs. 4 BGB oder Betreuungsunterhalt bei Aufenthaltswechsel eines Kindes). Ähnliches gilt für die kinderlose Ehe, die nur von kurzer Dauer war, und gilt für das Ehepaar mit etwa gleich hohen Renten und gilt darüber hinaus für das kinderlose Paar, das ungefähr gleich viel verdient. In derartigen Fällen hat die Rechtsprechung zunächst jeden Wert ausgeschlossen, wenn ein einseitiger oder beiderseitiger Unterhaltsverzicht abgegeben wurde.[88] Es wurde dann aber erkannt, dass hier ein wirtschaftlich zu bewertendes Regelungsinteresse vorliegt (zum Regelungsinteresse vgl. oben Rdn 53). Von anfänglich geringen Beträgen wie z.B. 20,00 DM im Jahr 1960[89] zum Unterhalt gem. § 60 EheG erhöhte sich der Wert für solche Vereinbarungen auf 600,00 DM pro Verzicht (bei beiderseitigem Verzicht also 1.200,00 DM).[90] Er stieg dann auf 1.200,00 DM pro Verzicht, bei beiderseitigem Verzicht also auf 2.400,00 DM.[91] Schließlich wurden die Verzichte durchweg mit 1.800,00 DM pro Ehegatten bei beiderseitigem Verzicht, also 3.600,00 DM, bewertet.[92] Derzeit liegen die Bewertungen bei mindestens 900,00 EUR bis 1.000,00 EUR pro Verzicht.[93] In allen diesen Fällen handelt es sich aber immer nur um Situationen, bei denen einseitig oder beidseitig ein Unterhaltsanspruch praktisch ausgeschlossen ist. Die genannten Werte gelten nur für das Regelungsinteresse. Wenn auf einer Seite ein realer Unterhaltsanspruch vorhanden ist, auf den verzichtet wird, ist der Wert auf dieser einen Seite entsprechend höher.

 

Rz. 71

Mit dem Argument "ein Verzicht auf nichts kann in keinem Fall die Einigungsgebühr auslösen", hat das OLG Köln[94] die Einigungsgebühr bei einem wechselseitigen Unterhaltsverzicht abgelehnt. Der Ehemann hatte kein Einkommen, die Ehefrau war Studentin und verdiente zusätzlich aber unter dem Selbstbehalt. Zu Recht führt das OLG Frankfurt[95] aus, dass durch eine derartige Vereinbarung sehr wohl die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Es komme daher nicht darauf an, ob auch ein Streit hierüber beigelegt worden sei. Es liege insbesondere kein einseitiger Verzicht vor, weil nicht nur auf die Klageforderung, sondern – gegenseitig – auf Unterhalt für die Zukunft insgesamt verzichtet worden sei. Dem kann nur zugestimmt werden. Angesichts der Aufweichung des § 1578 BGB durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht in jedem Fall die "Ungewissheit", ob nicht doch noch künftig ein Unterhaltsanspruch des einen oder anderen Ehegatten entsteht. Mit Deutlichkeit hat sich der BGH zum beiderseitigen Unterhaltsverzicht geäußert.[96] Die Einigungsgebühr war angefallen, obwohl vorher keine gegenseitigen Unterhaltsansprüche geltend gemacht worden waren, weil jedenfalls für künftige Ansprüche eine Unsicherheit besteht. Die Auftraggeberin hatte befürchtet, "über den Tisch gezogen" zu werden. Deshalb könne kein Zweifel bestehen, dass über die gegenseitigen Ansprüche Streit oder Ungewissheit vorlag und der Vertrag nicht nur die reine Niederlegung einer bereits bestehenden Willensübereinstimmung war. Bei einem gegenseitigen Unterhaltsverzicht liege eine Einigung vor.

[88] OLG München RPfl 1948/1949, 569.
[89] OLG Bremen NJW 1960, 2247.
[90] OLG Bamberg JurBüro 1973, 240; OLG Celle AnwBl 1971, 316.
[91] OLG Düsseldorf AnwBl 1985, 388; KG AnwBl 1976, 91.
[92] OLG Düsseldorf JurBüro 1985, 1521; OLG Nürnberg JurBüro 1975, 1351.
[93] Gerold/Schmidt/Müller-Rabe/Mayer, Anh. VI Rn 603: Soweit Unterhaltsansprüche nicht bestehen und ihre Entstehung auch nicht zu erwarten ist, ist das Regelungsinteresse zugrunde zu legen, mindestens 900,00 bis 1.000,00 EUR, bei beiderseitigem Verzicht also 1.800,00 bis 2.000,00 EUR mit Hinweis auf OLG Frankfurt am Main FamRZ 2007, 843. Vgl. Madert/Müller-Rabe/Madert, B V Rn 71 (für beiderseitigen Verzicht 3.600 DM bis 4.800 DM unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG Karlsruhe, die bereits vom 3.5.1999 stammt (16 UF 226/96)); OLG Frankfurt/Main RVGreport 2006, 384 setzte den Wert des beiderseitigen Verzichts mit 1.800,00 EUR an.
[96] BGH AGS 2009, 109 m. Anm. Onderka.

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