Rz. 30
Auf Antrag eines Nachlassgläubigers hat das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger zu bestellen, wenn die Erbschaft entweder noch nicht angenommen oder der Erbe unbekannt oder ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat, § 1961 BGB. Dies korrespondiert mit der Vorschrift des § 1958 BGB, wonach vor der Annahme der Erbschaft eine Klage gegen den Erben als unzulässig abzuweisen wäre. Die Klagepflegschaft dient dazu, diesen Zeitraum für einen Gläubiger, der seinen Anspruch gegen den Nachlass geltend machen will, zu überbrücken. Dass ein Bedürfnis der Nachlasssicherung besteht, ist – anders als bei § 1960 Abs. 1 BGB – nicht Voraussetzung; an die Stelle des Fürsorgebedürfnisses tritt ein Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers, das sich grundsätzlich bereits aus der Tatsache ergibt, dass er einen Anspruch gegen den Nachlass geltend machen will. Antragsberechtigt ist, wer die Absicht vorträgt, einen Anspruch gegen den Nachlass notfalls gerichtlich geltend machen zu wollen. Nicht nötig ist, dass die gerichtliche Durchsetzung in erster Linie in Aussicht genommen ist. Es genügt, dass der Prozessweg erst notfalls beschritten, zuvor aber mit dem Pfleger gütlich verhandelt werden soll. Das Bestehen eines Anspruchs muss weder bewiesen noch glaubhaft gemacht werden. Doch fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn offenkundig keine Forderung existiert oder die Rechtsverfolgung aus sonstigen Gründen offensichtlich unbegründet oder mutwillig ist. Sollte ein Erbscheinsantrag eines Vollstreckungsgläubigers nach § 792 ZPO keinen Erfolg haben, so könnte er ebenfalls die Anordnung einer Klagepflegschaft beantragen. Ist der Fiskus als Erbe festgestellt, so besteht kein Rechtsschutzinteresse für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft.
Die Regelungen zur Nachlasspflegschaft haben zum 1.1.2023 einige Änderungen erfahren. Es gibt jetzt eine "sonstige Pflegschaft", § 1915 BGB wurde aufgehoben. Zur Lückenausfüllung wird nicht mehr auf das Vormundschaftsrecht, sondern meist auf das Betreuungsrecht verwiesen. An die Stelle des Betreuungsgerichts tritt infolge der entsprechenden Anwendung das Nachlassgericht (§ 1962 BGB). Die Nachlasspflegschaft ist wie früher eine "Nachlasssache" (§ 342 Abs. 1 Nr. 5 FamFG). Die örtliche Zuständigkeit regelt § 344 Abs. 4 FamFG, die Beteiligten § 7 bzw. § 345 Abs. 4 Nr. 1 FamFG.
Rz. 31
Der Nachlasspfleger ist für Aktivprozesse legitimiert. Partei eines solchen Prozesses ist nicht der Nachlasspfleger, sondern der endgültige (noch unbekannte) Erbe. Dem unbekannten Erben kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, wenn die Kosten des Rechtsstreits nicht aus dem Nachlass gedeckt werden können. Wird die Nachlasspflegschaft während des laufenden Rechtsstreits aufgehoben, so kann der ermittelte Erbe den Rechtsstreit fortsetzen, er ist und war ja schon bisher Partei. Eine erneute Bewilligung der Prozesskostenhilfe für ihn ist nicht erforderlich. Weil der Erbe Partei ist und war, wirkt auch die Rechtskraft des ergehenden Urteils für und gegen ihn. Lautet das Urteil noch auf den Nachlasspfleger, so kann der Erbe daraus nur vollstrecken, wenn es vorher auf ihn konkretisiert wird, § 750 Abs. 1 ZPO.
Rz. 32
Auch Passivprozesse können gegen den Nachlasspfleger geführt werden. § 1958 BGB gilt kraft der ausdrücklichen Regelung in § 1960 Abs. 3 BGB nicht. Dies hat zur Konsequenz, dass bei bereits angeordneter Nachlasspflegschaft i.S.v. § 1960 BGB nicht noch zusätzlich eine Klagepflegschaft gem. § 1961 BGB angeordnet zu werden braucht (und dafür auch kein Rechtsschutzbedürfnis bestünde). Auch eine Kostenfestsetzung kann gegen die unbekannten Erben ergehen.
Der Erbprätendent kann gegen den Nachlasspfleger eine Feststellungsklage über das Erbrecht erheben, weil das Rechtsverhältnis zwischen Erben und Nachlasspfleger unter § 256 Abs. 1 ZPO fällt. Die Rechtskraft des ergehenden Urteils wirkt aber nicht gegenüber dritten als Erben in Betracht kommenden Personen.
Der Nachlasspfleger kann auch die Erteilung eines ENZ beantragen.
Der Nachlasspfleger kann das Gläubigeraufgebot gem. §§ 1970 ff. BGB beantragen (§ 455 Abs. 2 FamFG), das Nachlassinsolvenzverfahren (§ 317 Abs. 1 InsO) und die Zwangsversteigerung eines Grundstücks (§ 175 ZVG).
Die Ausführung einer namens der unbekannten Erben vorgenommenen Anweisung des Nachlassgerichts an die kontoführende Bank des Erblassers, einen Teilbetrag des dort vorhandenen Guthabens an das Bestattungsinstitut zu zahlen und den Rest zu hinterlegen, führt zur Erfüllung der Verbindlichkeit der Bank.
Rz. 33
Hat ein Nachlassgericht trotz des Bekanntseins einzelner Miterben eine umfassende Nachlasspflegschaft angeordnet, so ist eine solche Pflegerbestellung nach außen grundsätzlich wirksam. Sie ist auch vom Grundbuchamt zu beachten, wenn dieser Nachlasspfleger über Nachlassgrundstücke verfügt. Denn insoweit gilt der allgemeine Grundsatz, dass eine auf öffentlicher Gewalt beruhende Maßnahme wirksam ist, solange sie Bestand hat, und dass die Bestandskontrolle ausschl...