1. Anfechtung der Annahme der Erbschaft
Rz. 232
Das Gesetz geht in §§ 1954–1957 BGB von der Möglichkeit einer Anfechtung der Annahme einer Erbschaft aus – auch wenn die Annahme lediglich im Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist besteht –, enthält jedoch dort keine besonderen Bestimmungen zu den Gründen, die eine solche Anfechtung rechtfertigen können. Daraus folgt, dass insoweit die allgemeinen Bestimmungen der §§ 119 ff. BGB maßgebend sind.
2. Anfechtungsgründe
a) Überschuldung des Nachlasses mit Erblasserschulden
Rz. 233
Als Anfechtungsgründe im Sinne eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB kommen die Überschuldung des Nachlasses, mangelnde Kenntnis einzelner wichtiger Nachlassverbindlichkeiten, fehlerhafte Einschätzung des Wertes einzelner Nachlassgegenstände in Betracht. Dabei ist als "Sache" im Sinne dieser Vorschrift bei der Anfechtung gem. §§ 1954, 1956 BGB die Erbschaft anzusehen, d.h. der dem Erben angefallene Nachlass oder der betreffende Nachlassteil bei einem Miterben. Das bedeutet, dass die Überschuldung der Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft gem. § 119 Abs. 2 BGB darstellen und zur Anfechtung der Annahme der Erbschaft berechtigen kann.
Rz. 234
Allerdings muss die Überschuldung auch im Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft vorliegen. Eine Überschuldung des Nachlasses als Voraussetzung für die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens gem. § 320 S. 1 InsO liegt vor, wenn bei Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva des Nachlasses die Verbindlichkeiten den Wert der Nachlassgegenstände übersteigen. Maßgebend für die Bewertung von Nachlassgegenständen im Rahmen der Überschuldungsprüfung ist der jeweilige Liquidationswert, d.h. der Wert, zu dem die Nachlassgegenstände veräußert werden können.
Rz. 235
Eventuelle Fehlvorstellungen des Erben über den Wert einzelner zum Nachlass gehörender Gegenstände können für sich die Anfechtung der Annahme nicht begründen, wenn sie sich auf den Saldo des Nachlasswertes nicht auswirken. Der Wert der Nachlassgegenstände als solcher stellt keine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB dar.
Ein Irrtum über das Bestehen von Verbindlichkeiten, z.B. von Einkommensteuerschulden für zurückliegende Veranlagungszeiträume, kann grundsätzlich die Anfechtung der Annahme begründen. Allerdings ist eine einzelne Verbindlichkeit lediglich ein Rechnungsfaktor für die Bewertung des ganzen Nachlasses und damit der Überschuldung.
Unter verkehrswesentlichen Eigenschaften werden alle wertbildenden Faktoren wie Größe, Lage, Belastungen verstanden, nicht aber der Wert oder Marktpreis selbst. Eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB wird bejaht, wenn es um die Überschuldung des Nachlasses geht oder um eine Belastung des Nachlasses mit wesentlichen Verbindlichkeiten (z.B. Vermächtnis), deren rechtlicher Bestand ungeklärt ist. Weiter wird hierzu gerechnet die Höhe des Erbanteils, die Größe des Nachlasses, Irrtum über Zugehörigkeit von Rechten oder Verbindlichkeiten zum Nachlass, wenn dieser Irrtum zur Vorstellung einer tatsächlich nicht bestehenden Überschuldung führt.
b) Beschwerung des pflichtteilsberechtigten Erben mit Vermächtnissen
Rz. 236
Zur Möglichkeit der Anfechtung der Erbschaftsannahme in solchen Fällen vgl. § 15 Rdn 56 ff.
3. Formalien der Anfechtung
Rz. 237
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Anfechtungsadressat: das Nachlassgericht, § 1955 BGB. Die Anfechtungserklärung kann gem. § 344 Abs. 7 FamFG auch gegenüber dem Nachlassgericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Anfechtenden erklärt werden, welches die Erklärung an das zuständige Nachlassgericht weiterzuleiten hat. |
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Form der Anfechtungserklärung: öffentlich beglaubigt oder zur Niederschrift des Nachlassgerichts, §§ 1955, 1945 BGB. |
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Anfechtungsfrist: sechs Wochen bzw. sechs Monate ab Kenntnis vom Irrtum, § 1954 BGB. |
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Soll wirklich angefochten werden? Da die Anfechtung der Annahme als Ausschlagung der Erbschaft gilt (§ 1957 BGB), fällt die Erbschaft demjenigen an, welcher berufen wäre, wenn der Anfechtende zur Zeit des Erbfalls ... |