Leitsatz (amtlich)
Es liegt kein zur Anfechtung der Erbausschlagung berechtigender Irrtum vor, wenn der Ausschlagende angenommen hat, dass der Nachlass tatsächlich überschuldet sein müsse, weil andere, die bei gesetzlicher Erbfolge als Erben berufen gewesen wären, aus diesem Grund die Erbausschlagung erklärt haben.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen Verletzung seiner Pflichten aus dem mit ihr in einer erbrechtlichen Angelegenheit geschlossenen Anwaltsvertrag in Anspruch.
Die Klägerin war aufgrund des Erbvertrages vom 14.4.1986 als Alleinerbin des am 17.10.2006 verstorbenen Erblassers, ihres früheren Lebensgefährten, eingesetzt.
Nachdem die Klägerin die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung von Todes wegen vom AG N. erhalten hatte, rief sie dort im Januar 2007 an und sprach mit der in der Nachlassabteilung tätigen Frau I. Diese informierte die Klägerin u.a., dass andere "Erben" bereits wegen Überschuldung ausgeschlagen hätten und sie, die Klägerin, wenn sie das Erbe annehme, auch die Schulden zahlen müsse.
Am 1.2.2007 erklärte die Klägerin zu Protokoll vor der Rechtspflegerin beim AG E.:
"Ich gehe davon aus, dass der Nachlass überschuldet ist. Darüber hinaus möchte ich mit dem Nachlass nichts zu tun haben.
Die mir angefallene Erbschaft schlage ich aus jedem Berufungsgrund aus."
Nachdem der Klägerin Zweifel an der Überschuldung des Nachlasses gekommen waren, beauftragte sie im Juni 2007 den Beklagten.
Mit Schreiben vom 6.7.2007 riet der Beklagte, der inzwischen mit dem vom Nachlassgericht bestellten Nachlasspfleger Kontakt aufgenommen hatte, wegen "Irrtums über die Belastung des Nachlasses ... unverzüglich die Ausschlagung anzufechten". Mit Schreiben vom 21.7.2007 bat die Klägerin den Beklagten, ihre Erbausschlagung anzufechten. Mit am 9.8.2007 beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom 6.8.2007 teilte der Nachlasspfleger die von ihm bisher ermittelten Forderungen gegen den Nachlass mit.
Mit Schreiben vom 17.8.2007 entzog die Klägerin dem Beklagten mit sofortiger Wirkung das Mandat "wegen grobfahrlässiger Sorgfaltspflichtvernachlässigung". Der Beklagte antwortete der Klägerin mit Schreiben vom 3.9.2007, dass er nach Urlaubsrückkehr erst jetzt auf die Sache zurückkommen könne und nach den ihm vom Nachlasspfleger überlassenen Unterlagen nur geringe Forderungen vorlägen und deshalb dringend anzuraten sei, unverzüglich die Ausschlagung der Erbschaft wegen arglistiger Täuschung durch die Rechtspflegerin anzufechten.
Die Klägerin hat schließlich keine Anfechtungserklärung abgegeben und wirft dem Beklagten vor, die Anfechtung der Ausschlagung für sie nicht fristgerecht erklärt zu haben. Die Frist habe am 6.7.2007 zu laufen begonnen; der Beklagte sei bis zum 17.8.2007 immer noch nicht tätig gewesen. Auch habe eine nachvertragliche Pflicht, auf die Anfechtungsfrist hinzuweisen, bestanden.
Die Klägerin verlangt Ersatz für den Wert, der ihr durch die ausgeschlagene Erbschaft, die im Wesentlichen aus einem Dreifamilienhaus in D. bestanden hat, entgangen ist. Dieses Haus ist inzwischen vom Nachlasspfleger für 75.000 EUR veräußert worden und hätte nach dem Vortrag der Klägerin einen Verkehrswert von 175.000 EUR gehabt.
Der Beklagte verteidigt sich im Wesentlichen damit, dass er die Anfechtungsfrist keineswegs habe verstreichen lassen; wenn es auf seine Kenntnis ankomme, hätte die Anfechtung noch bis zum 20.9.2007 erklärt werden können; richtigerweise sei jedoch auf die Kenntnis der Klägerin durch Erhalt des mit Schreiben vom 3.9.2007 übersandten Schreibens des Nachlasspflegers vom 6.8.2007 abzustellen, so dass noch bis Ende Oktober 2007 hätte angefochten werden können.
Entscheidungsgründe
Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch gem. §§ 675, 280 BGB zu.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte seine Pflichten aus dem mit der Klägerin geschlossenen Anwaltsvertrag verletzt hat, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Klägerin aus einer möglichen Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist. Die Klägerin ist für die Voraussetzungen ihres Schadensersatzanspruchs und damit auch für die Kausalität einer möglichen Pflichtverletzung darlegungspflichtig. Ein Schaden wäre der Klägerin aber nur dann entstanden, wenn sie bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten Erbin geworden wäre und den Nachlass des Verstorbenen erhalten hätte. Dies wiederum wäre nur dann der Fall, wenn ein zur Anfechtung der Ausschlagung berechtigender Irrtum vorgelegen hätte. Dies ist von der Klägerin nicht schlüssig dargelegt worden.
Als Anfechtungsgrund im Rahmen des § 1954 BGB kommt neben dem Inhalts- und Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB der Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gem. § 119 Abs. 2 BGB in Betracht. Entgegen den Ausführungen der Klägerin in der Berufung irrte sie nicht über die Bedeutung und Tragweite ihrer Erklärung. Dafür, dass sie nicht wusste, was die Ausschlagung einer Erbschaft bedeutet, fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Als Anfechtungsgrund ist hier somit allei...