Leitsatz (amtlich)
Der potentielle gesetzliche Erbe, der die Erbschaft ohne Angabe von Gründen ausschlägt und sodann mit Blick auf die inzwischen festgestellte Werthaltigkeit des Nachlasses seine Ausschlagungserklärung anficht, weil er irrtümlich von einem überschuldeten Nachlass ausgegangen sei, macht nicht den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (Erbschaft), sondern einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum geltend, da er seine Ausschlagungserklärung ohne Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihm etwa bekannter oder zugänglicher Fakten, nämlich auf spekulativer - bewusst ungesicherter - Grundlage abgegeben hat (Bestätigung der vom Senat in ständiger Rechtsprechung - zuletzt FGPrax 2019, 273 = ErbR 2020, 46 m.N. - entwickelten Grundsätze zur Anfechtung von Erbausschlagungen wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft).
Normenkette
BGB § 119 Abs. 2, § 1944 Abs. 1, § 1954
Verfahrensgang
AG Mülheim a.d. Ruhr (Aktenzeichen 4 VI 858/17) |
Tenor
Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss geändert.
Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 vom 28. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Erbscheinsverfahrens trägt der Beteiligte zu 2 ebenso wie die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet im Beschwerdeverfahren nicht statt.
Geschäftswert: bis 33.000,00 EUR
Gründe
I. Der Erblasser hinterließ vier Kinder, die Beteiligten zu 1 und 2 sowie Heinz Jörg ... und Sandra ...; der Beteiligte zu 3 sowie Sidney ... sind die Söhne von Sandra ... und Enkel des Erblassers. Alle vier Kinder und die beiden Enkel erklärten - zunächst - wie folgt die Ausschlagung der Erbschaft:
Die Beteiligte zu 1, nicht eheliche Tochter des Erblassers, erklärte die Ausschlagung am 8. Dez. 2015 zu Protokoll der Geschäftsstelle. In ihrer Erklärung heißt es:
"Der Nachlass ist der Erschienenen nicht bekannt.
Die Erschienene ... schlägt die Erbschaft aus persönlichen Gründen aus."
In der notariell beglaubigten Ausschlagungserklärung des Heinz Jörg ... ebenfalls vom 8. Dez. 2015 heißt es:
"Bei dem Verstorbenen handelte es sich um meinen Vater, zu dem ich seit Jahren einen 'gestörten' und seit ca. 2 bis 3 Jahren keinen Kontakt mehr hatte.
...
Zwar ist der Nachlass nach dem Verstorbenen nach meiner Kenntnis nicht überschuldet; doch möchte ich auf Grund der gestörten Beziehung zu dem Verstorbenen nicht dessen Mit-Erbe sein."
Der Beteiligte zu 3 schlug die Erbschaft mit notariell beglaubigter Erklärung vom 11. Dez. 2015 ohne Angabe von Gründen aus.
Sandra ... und Sidney ... schlugen die Erbschaft mit gleichlautender notarieller Erklärung vom 16. Dez. 2015 aus, in der es heißt:
"Es wird vermutet, dass der Nachlass überschuldet ist."
Der Beteiligte zu 2 erklärte notariell beglaubigt unter dem 5. Jan. 2016 die Erbausschlagung, ohne Gründe dafür anzugeben.
Mit Beschluss vom 10. Febr. 2016 ordnete das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft an, weil die Erben unbekannt bzw. die Erbenstellung noch nicht vollständig geklärt und sicherungsbedürftiger Nachlass vorhanden sei.
Die Nachlasspflegerin ermittelte in ihrem Einleitungsbericht vom 14. April 2016 Aktiva in Höhe von 72.998,97 EUR und Passiva in Höhe von 52.543,12 EUR. Nach dem Bericht bestand das Aktivvermögen fast gänzlich aus einer Immobilie mit geschätztem Wert von 70.000 EUR, belastet mit einem lebenslangem Wohnrecht an den Räumen im Dachgeschoss im Wert von ca. 46.500 EUR. Die Veräußerung der Immobilie sei unwahrscheinlich mit Blick auf den Sanierungsstau und weil die Inhaberin des Wohnrechts nicht darauf verzichten wolle. Da die Kosten der Wohngebäudeversicherung nicht aus dem Nachlass getragen werden konnten, regte die Nachlasspflegerin an, das Verfahren zur Feststellung des Fiskuserbrechts einzuleiten.
Es gelang schließlich, das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 1. Sept. 2017 zu einem - über dem vom Sachverständigen geschätzten Verkehrswert liegenden - Kaufpreis von 41.500 EUR zu veräußern.
Mit Schreiben vom 2. März 2018 teilte die Nachlasspflegerin mit, sie verwahre auf dem Anderkonto einen Aktivnachlass von 32.083,73 EUR und Bargeld in Höhe von 72,31 EUR. Da Kinder und Enkel ausgeschlagen hätten und Erben der 2. und 3. Ordnung nicht existierten, müssten voraussichtlich Erben der 4. Ordnung ermittelt werden. Allerdings hätten Sandra ... und Sidney ... Nachlassüberschuldung vermutet und ... (der Beteiligte zu 2) und ... (der Beteiligte zu 3) hätten keine Gründe für ihre Ausschlagungen angegeben. Sie bitte daher um Stellungnahme, ob ihnen Gelegenheit gegeben werde solle, eine Anfechtung der Erbausschlagung zu prüfen.
Nach entsprechender Mitteilung des Nachlassgerichts vom 8. März 2018 unterrichtete die Nachlasspflegerin Kinder und Enkel über die Höhe des Nachlasses und zwar die Beteiligten zu 2 und 3, Sandra ... und Sidney ... mit Schreiben vom 15. März 2019, die Beteiligte zu 1 und Heinz Jörg ... mit Schreiben vom 10. April 2018.
Daraufhin fochten die Beteiligten zu 2 und 3 und Sandra ... ihre Aus...