Leitsatz (amtlich)
Beruht die Entscheidung, die Erbschaft auszuschlagen, auf bewusst ungesicherter also spekulativer Grundlage (hier: Annahme der Überschuldung des Erblassers aufgrund eines vor Jahren vorhanden gewesenen Guthabens in Verbindung mit der Rentensituation und der äußeren Lebensführung bei vermutet hohen Wohnungsauflösungskosten), so berechtigt eine später sich herausstellende Werthaltigkeit des Erbes mangels eines rechtlich relevanten Irrtums (bloßer Motivirrtum) den Ausschlagenden nicht zur Anfechtung seiner Erklärung.
Normenkette
BGB §§ 119-120, 123, 1944 Abs. 1, § 1945 Abs. 1, § 1954 Abs. 1, § 1944 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
AG Mülheim a.d. Ruhr (Aktenzeichen 4 VI 858/17) |
Tenor
Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
Von der Erhebung der Gerichtskosten ist für beide Rechtszüge abzusehen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die verwitwete Erblasserin lebte allein in ihrer Wohnung. Nach ihrem Tode - die Erblasserin war von der Polizei tot aufgefunden worden - befand sich die Wohnung dem Antrittsbericht der Beteiligten zu 2. zufolge, in einem Zustand extremer Verunreinigung. Die Beteiligte zu 1. ist eine Schwester der Erblasserin. Gemeinsam mit einer weiteren Schwester erklärte sie am 13. Februar 2017 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, ihr sei nicht bekannt, ob die Erblasserin eine Verfügung von Todes wegen hinterlassen habe, kraft gesetzlicher Erbfolge sei sie Miterbin; die angefallene Erbschaft schlage sie aus jedem Berufungsrunde aus; der Nachlass sei ihr nicht bekannt. Ende Februar und Anfang März 2017 erklärten weitere gesetzliche Erben Erbausschlagungen.
Mit Beschluss vom 16. März 2017 wurde die Beteiligte zu 2. zur (berufsmäßigen) Nachlasspflegerin mit den Aufgabenkreisen der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses bestellt, weil die Erbfolge noch nicht geklärt sei. Ende März 2017 reichte die Beteiligte zu 2. ein Nachlassverzeichnis zur Gerichtsakte, das als Aktiva knapp 11.000 EUR Geldvermögen auswies, zu den Passiva beziffert lediglich Bestattungskosten von rund 1.250 EUR sowie die Bemerkung der Beteiligten zu 2., wegen des Zustandes der Wohnung entfielen auf den Nachlass hohe Kosten "an Entsorgung und Renovierung". Einem weiteren Bericht vom 20. Juli 2017 war zu entnehmen, dass die Beteiligte zu 2. am 6. Juni 2017 mit der Beteiligten zu 1. telefoniert und ihr hierbei mitgeteilt hatte, der Nachlass sei nicht überschuldet. Mit Schreiben gleichfalls vom 20. Juli 2017 äußerte die Beteiligte zu 2.: Die Beteiligte zu 1. sei davon ausgegangen, der Erbe nach der Erblasserin habe die kompletten Renovierungs- und Entrümpelungskosten gegenüber dem Vermieter zu tragen, und deshalb befürchtet, der Nachlass sei überschuldet. Nach Lage der Rechtsprechung habe die Mietwohnung jedoch nur geräumt, nicht renoviert übergeben werden müssen. Da sie (die Beteiligte zu 1.) keine Möglichkeit gehabt habe, selbst zu prüfen, über welche Vermögenswerte die Erblasserin noch verfügt habe - sie habe die Wohnung, zu der die Polizei die Schlüssel gehabt habe, nicht betreten dürfen -, habe sie dann die Erbschaft fristgereicht ausgeschlagen. Der Nachlass weise abschließend ein Guthaben von ca. 6.600 EUR auf, wovon nur noch Gerichtskosten und Nachlasspflegervergütung (750 EUR) abgingen.
Mit am 22. Juni 2017 beim Amtsgericht eingegangener, notariell beglaubigter Erklärung vom 21. Juni 2017 hat die Beteiligte zu 1. ihre Ausschlagung angefochten und die Annahme der Erbschaft nach der Erblasserin erklärt. Zur Begründung hat sie angeführt:
"Zu dieser Ausschlagung bin ich durch Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses bestimmt worden. Dies hat sich daraus ergeben, dass meine Schwester starke Raucherin und die Wohnung komplett vermüllt war, so dass ich davon ausgegangen bin, dass diese Umstände dazu führten, dass die Entrümpelung und die Renovierung der Wohnung sowie die noch zu zahlenden Monatsmieten für die Kündigungszeit den Nachlass erheblich übersteigen würden.
Ich habe erst jetzt erfahren, dass die Schönheitsreparaturklausel des Mietvertrags unwirksam ist und also die kostspieligen Renovierungsarbeiten nicht geschuldet werden."
Ferner hat sie mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 15. November 2017 erklärt, dass anlässlich der Ausschlagung beim Nachlassgericht über "Details des Nachlasses" nicht gesprochen worden sei, und ergänzt:
"Die Antragstellerin [die Beteiligte zu 1.] wusste allerdings aus der Vergangenheit, dass [i]hre Schwester über Sparguthaben verfügte, das nach dem Tod des Ehemannes der Schwester, sie meint vor etwa fünf Jahren, noch etwa 19.000 EUR betrug. Die Schwester hatte zwar nur einige kleine Witwenrente, war aber überaus sparsam, so dass die Antragstellerin davon ausging, das[s] von dem Ersparten noch etwas vorhanden war. Keine genaue Kenntnis besaß sie allerdings über dessen Höhe. Anlässlich des Zustands der Wohnung der Schwester .... befürchtete sie, dass die Forderungen des Vermieters das vorhandene Guthaben übersteigen würde[n]."
Nach Eingang der A...