Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 49
Seit dem 1.1.2004 können "Medizinische Versorgungszentren" (MVZ) ambulante vertragsärztliche Leistungen erbringen. Ein MVZ ist definiert als eine ärztlich geleitete Einrichtung, in der Ärzte als freiberufliche Vertragsärzte oder Angestellte tätig sind. Das ursprünglich erforderliche fachübergreifende Merkmal ist inzwischen weggefallen. Es können unterschiedliche Berufsgruppen tätig sein. Insbesondere für Krankenhäuser ist eine MVZ-Gründung attraktiv, denn so können ambulante Leistungen ausgeweitet werden.
Damit sind Kennzeichen eines medizinischen Versorgungszentrums gem. § 95 Abs. 1 SGB V:
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vertragsärztliche Versorgung, |
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ärztlich geleitete Einrichtung, |
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Tätigkeit von Ärzten als angestellte und/oder niedergelassene Vertragsärzte. |
Seit dem 1.1.2012 kann die Gründung eines MVZ nur noch in der Rechtsform einer Personengesellschaft, einer eingetragenen Genossenschaft oder einer GmbH erfolgen (§ 95 Abs. 1a Hs. 2 SGB V). Die bis dahin aufgrund der alten Rechtslage, § 95 Abs. 1 S. 6 Hs. 1 SGB V a.F. nach allen zulässigen Organisationsformen gegründeten Versorgungszentren genießen Bestandsschutz (§ 95 Abs. 1a S. 2 SGB V).
Rz. 50
Der Behandlungsvertrag mit dem Patienten kommt ausschließlich mit dem Versorgungszentrum und nicht mit den angestellten Ärzten zustande. Damit haftet das Medizinische Versorgungszentrum vertraglich für eventuelle Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler. Zur Absicherung dieses Risikos ist eine Haftpflichtversicherung für das MVZ und die dort angestellten Ärzte und das tätige Personal abzuschließen. Der Versicherer dieser Betriebshaftpflichtversicherung des MVZ ist regelmäßig mit dem der Betriebshaftpflichtversicherung des Krankenhauses identisch, wenn das Krankenhaus wirtschaftlicher Träger des MVZ ist.
Nach der Neuregelung des § 95e SGB V (Art. 1 Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) vom 11.7.2021, BGBl I, 2754) hat das MVZ eine zwingende gesetzliche Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Auf die Ausführungen unter Rdn 11 f. wird verwiesen.
Rz. 51
Jede Abteilung des MVZ wird von einem leitenden Arzt vertreten. Dieser wird in seinem Fachgebiet medizinisch selbstständig tätig. Er ist verantwortlich für Diagnostik und Therapie bei allen Patienten seiner Abteilung oder seines Funktionsbereiches. Der leitende Arzt trägt neben dem MVZ juristisch die Gesamtverantwortung für die ärztliche Versorgung der Patienten. Er ist in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht fachlich weisungsberechtigter Vorgesetzter des ärztlichen wie des medizinisch-technischen Personals. Damit sind auch in medizinischen Fragen die leitenden Ärzte vom Weisungsrecht des Trägers unabhängig. Außerhalb der medizinischen Kompetenz unterliegt aber der leitende Arzt wie alle übrigen Bediensteten den Weisungen des Trägers.
Rz. 52
Folglich übernimmt der leitende Arzt auch Organisationspflichten, so dass ein Organisationsverschulden nicht nur dem MVZ, sondern auch dem leitenden Arzt zuzurechnen ist. Der leitende Arzt hat
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die fachärztliche Zusammenarbeit zu koordinieren. |
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die ärztliche Fachaufsicht über die unterstellten Ärzte wie den Pflegedienst und auch den medizinisch-technischen Dienst auszuüben. |
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die Hygiene sicherzustellen. |
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die ärztliche und pflegerische Dokumentation zu gewährleisten. |
In der Muster-Bedingungsstruktur V Heilwesen (siehe Rdn 4) empfiehlt der GDV, dass für das MVZ und die beteiligten Leistungserbringer ein einheitlicher Vertrag abgeschlossen werden soll, da alle Leistungen des MVZ gesamtschuldnerisch erbracht werden. Für etwaige Tätigkeiten der Leistungserbringer außerhalb des MVZ (z.B. Weiterführung einer eigenen Praxis, Belegarzttätigkeit) ist zusätzlicher Versicherungsschutz erforderlich.
Rz. 53
Auch dem Träger des MVZ obliegen Organisationspflichten. Dem MVZ obliegt auch eine Fachaufsicht. Der Träger des MVZ muss den ärztlichen Leiter überwachen und überprüfen, ob er die ihm übertragene Organisation fachgerecht wahrnimmt. Der leitende Arzt muss dafür Sorge tragen, dass die für die notwendigen therapeutischen Maßnahmen erforderlichen technischen Ausstattungen vorhanden sind. Die Organisationspflicht des MVZ erstreckt sich auch auf die Verkehrssicherungspflicht.
Rz. 54
Im Ergebnis ist die Rechtsprechung zur Krankenhaushaftung auf das Medizinische Versorgungszentrum anzuwenden. Im Falle der Verletzung der Organisationspflichten und des jeweiligen medizinischen Standards besteht Deckungsschutz im Rahmen der Betriebshaftpflichtversicherung des MVZ.