Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 133
Durch das VVG werden sowohl die Rechte und Pflichten der Versicherer bzw. Versicherungsvermittler als auch die Rechte und Pflichten der Versicherungsnehmer wesentlichen Änderungen unterworfen. Das bis 2006 geltende VVG, das aus dem Jahre 1908 stammt, enthielt z.B. keine Vorschriften über die Beratung des Versicherungsnehmers vor Abschluss des Versicherungsvertrages (zumindest bis 2006). Darüber hinaus hatten Verstöße gegen die Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer im Einzelfall die komplette Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge, es galt das sog. Alles-oder-nichts-Prinzip. Beide Themen haben eine umfassende Erneuerung erfahren.
I. Beratungspflichten des Versicherers bzw. des Versicherungsmaklers
Rz. 134
Der Versicherungsmakler wird vom Versicherungsnehmer üblicherweise beauftragt, diesem einen individuellen Versicherungsschutz zu beschaffen. Der Versicherungsmakler ist Interessen- und meist Abschlussvertreter des Versicherungsnehmers und diesem gegenüber zu Beratung und Betreuung verpflichtet.
Rz. 135
Es gilt Folgendes: Für die Erfüllung der Aufklärungs- und Beratungspflicht ist der Makler beweisbelastet. Der BGH fasst die Pflichten des Versicherungsmaklers gegenüber seinem Auftraggeber weit. Der Versicherungsmakler hat von sich aus das Risiko zu untersuchen, in der Sachversicherung das Objekt zu prüfen und den Versicherungsnehmer ständig, unverzüglich und ungefragt über die für ihn wichtigen Zwischen- und Endergebnisse seiner Bemühungen zu unterrichten.
Rz. 136
Die strengen Anforderungen an den Versicherungsmakler gelten auch bei der Beratung und Information über den Versicherungsschutz in der Arzthaftpflichtversicherung. In einem vom OLG Hamm 1995 entschiedenen Fall hatte eine Versicherungsmaklerin ihre Pflichten verletzt, indem sie den betroffenen Arzt als Versicherungsnehmer nicht zureichend und kurzfristig über die geänderte Rechtsprechung des BGH zum Unterhaltsaufwand für ein ungewolltes Kind als Vermögensschaden hingewiesen hatte. Die Maklerin haftete auf Übernahme der Prozesskosten des vorangegangenen Arzthaftungsprozesses und die Freistellung von den Kosten, die die Deckungssumme für Vermögensschäden überstiegen. Der Entscheidung lag die Änderung der Rechtsprechung des BGH zugrunde zu der Frage, wonach nunmehr ein ungewolltes Kind als Schaden geltend gemacht werden kann. Die Unterhaltsverpflichtung der Eltern bei der Geburt eines ungewollten Kindes stellt einen reinen Vermögensschaden dar (siehe auch Rdn 103 ff.).
Rz. 137
In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall betreute der Gynäkologe eine Schwangere, bei der eine Fruchtwasseruntersuchung unterblieben war und die ein mongoloides Kind zur Welt brachte. Der Arzt verfügte zwar über eine Berufshaftpflichtversicherung. Diese sah für reine Vermögensschäden aber nur eine Deckungssumme von 25.000 DM vor, die zur Deckung der Unterhaltsansprüche und Prozesskosten im Haftungsprozess bei weitem nicht ausreichte. Eine Klausel, nach der für Unterhaltsschäden die Deckungssumme für Personenschäden gelte (hier 1.000.000 DM), enthielt der Versicherungsvertrag nicht. Ein ausreichender Versicherungsschutz hätte gegen eine Prämienerhöhung von 600 DM pro Jahr vereinbart werden können.
Rz. 138
Die Versicherungsmaklerin hatte den Arzt nur über die Arzthaftung bei ungewollter Schwangerschaft informiert. Außerdem enthielt ein Informationsschreiben an den Versicherungsnehmer den Hinweis auf das Haftungsrisiko, wenn eine Geburt wegen gesundheitlicher Schädigung vermieden werden solle. Das OLG Hamm hatte selbst diese Information als nicht ausreichend angesehen, da ein ausdrücklicher Hinweis auf das Haftungsrisiko bei der Geburt eines behinderten Kindes gefehlt habe. Der Versicherungsnehmer müsse sich nicht selbst über die aktuelle Rechtsprechung zum genauen Umfang des Haftungsrisikos und zu Versicherungslücken informieren, da er gerade diese Aufgabe an den Versicherungsmakler delegiert habe.
Beachte
Diese Rechtsprechung zeigt, wie streng die Anforderungen an die Beratungspflichten bei Abschluss und Betreuung eines Arzthaftpflicht-Versicherungsvertrages schon vor der VVG-Reform 2002 waren. Der Hinweis auf eine neue Rechtsprechung zum Haftungsrisiko genügt nicht. Der Versicherungsmakler muss dem Arzt konkret darlegen, für welche Tätigkeit welches Risiko entsteht, welche Deckungslücken hieraus resultieren und mit welchem finanziellen Aufwand diese Lücken geschlossen werden können. Dieselben Pflichten treffen den Versicherer, der unmittelbar mit dem Arzt oder Krankenhausträger abschließt, oder den Rechtsanwalt, der beratend tätig wird.
Rz. 139
Hinzu kommt ein sehr ausgefeiltes gesetzliches System der Beratungspflichten, in den §§ 6 ff. VVG und §§ 59 ff. VVG. Die Pflichten des Versicherers (§§ 6 ff. VVG n.F.) und die des Versicherungsvermittlers (§§ 59 ff. VVG n.F.) stehen gleichwertig nebeneinander, brauchen jedoch nur einmal erfüllt zu werden. Die Beratungspflicht des Versicherers jedoch besteht, anders als die des Versicherungsvertreters, nicht nur vor Vertragsschluss, sondern auch während der gesamten Vertr...