Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 163
Bei der Testamentsgestaltung ist auch der Blick in die Vergangenheit notwendig, nämlich immer dann, wenn es in der Vergangenheit bereits zu erbrechtlich erheblichen Zuwendungen gekommen ist, die
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Pflichtteilsergänzungsansprüche (§§ 2325 ff. BGB) |
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Ausgleichsregeln innerhalb einer Erbengemeinschaft oder bei Pflichtteilsansprüchen (§§ 2050 ff. BGB) |
produzieren.
Zitat
"Grundgedanke des Pflichtteilsrechts ist die Mindestteilhabe naher Angehöriger am Vermögen des Erblassers. Diese sollen an den von ihm während seines Lebens geschaffenen Vermögenswerten durch einen schuldrechtlichen Anspruch in Höhe der Hälfte ihres gesetzlichen Erbrechts partizipieren. Um eine Verkürzung dieses Teilhabeanspruchs zu verhindern, hat der Gesetzgeber den Pflichtteilsanspruch hinsichtlich des konkret beim Erbfall vorhandenen Nachlasses um den Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen erfolgter Schenkungen gegen den Erben bzw. Beschenkten nach §§ 2325, 2329 BGB ergänzt."
Rz. 164
§ 2325 BGB regelt:
Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird (§ 2325 Abs. 1 BGB).
Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, so beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe (§ 2325 Abs. 3 BGB).
Rz. 165
Zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen hat die Rechtsprechung in jüngster Zeit wiederholt bedeutsame Entscheidungen getroffen, die auch für die Funktionsfähigkeit von Behindertentestamenten erhebliche Bedeutung haben können:
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Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB setzt nicht voraus, dass die Pflichtteilsberechtigung bereits im Zeitpunkt der Schenkung bestand. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch bezieht sich auch auf solche unentgeltlichen Zuwendungen, die der Erblasser vor der Geburt des Pflichtteilsberechtigten vorgenommen hat. Er kann also sehr weit in die Vergangenheit wirken. |
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Die bei einer zweigliedrigen, vermögensverwaltenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts für den Fall des Todes eines Gesellschafters vereinbarte Anwachsung seines Gesellschaftsanteils beim überlebenden Gesellschafter unter Ausschluss eines Abfindungsanspruchs kann eine Schenkung im Sinne von § 2325 Abs. 1 BGB sein. Deshalb können sich unverhofft Ansprüche ergeben, die man eigentlich lange als ungefährdete Nachlassmasse für die Ansprüche eines behinderten Menschen angesehen hatte. |
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Das Anlaufen der Zehn-Jahresfrist kann gehindert sein, weil zum Eigentumserwerb beim Beschenkten ein sog. "Genussverzicht" hinzukommen muss. Behält sich der Schenker den unbeschränkten Nießbrauch an einer Immobilie vor, so hat er den Gegenstand nicht wirtschaftlich aus seinem Vermögen ausgegliedert. Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks ein Wohnungsrecht an diesem oder Teilen daran vor, so kann hierdurch der Beginn des Fristlaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein. Auch der Vorbehalt von Rückforderungsrechten kann das Anlaufen der Frist hindern. Hier muss der jeweilige Einzelfall geprüft werden, denn in der vorstehend zitierten Entscheidung hat der BGH die Vereinbarung, dass der übernehmende Sohn das Grundstück zu Lebzeiten der Schenker weder veräußern noch darauf ohne ihre Zustimmung Um- oder Ausbaumaßnahmen vornehmen durfte, nicht als Grund angenommen, der den Fristanlauf hindert. |
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Sämtliche Zuwendungen eines Erblassers an seinen Ehegatten seit Schließung ihrer Ehe sind abstrakt pflichtteilsrelevant. Auch ehebedingte Zuwendungen von Eltern untereinander können Pflichtteilsansprüche nach § 2325 BGB auslösen, wenn eine Zuwendung keine Gegenleistung hat. Als Gegenleistung, die Entgeltlichkeit begründet, ist der Unterhaltsanspruch bei intakter Ehe nach §§ 1360,1360 a BGB relevant. Ein Anspruch auf Vermögensbildung gehört aber nicht dazu. Aber der Anspruch auf Altersvorsorge des Ehegatten kann eine ehebedingte Zuwendung pflichtteilsfest machen. So hat der BGH bei Hauskosten, die der Ehegatte alleine – auch für seine Ehefrau – mitgezahlt hatte, angenommen, dass die Zinszahlungen auf das Hausdarlehen ergänzungspflichtig sein könnten, wenn nicht entsprechende Unterhaltsansprüche wie derjenige auf Altersvorsorgeunterhalt bestünden. Das wiederum ist u.a. davon abhängig, ob dem anderen Ehegatten bereits selbst Mittel zur Altersvorsorge zur Verfügung stehen. Die Zahlung von Zins und Tilgung auf eine im Miteigentum stehende Immobilie durch den alleinverdienenden Ehegatten ist eine Alltagssituation. Deswegen mangelt es dem anderen Ehegatten aber nicht zwingend an Altersversorgung. Die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen ist durch § 44 SGB... |