Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 75
Wenn der Vorerbe die Herausgabe der Nutzungen einer Erbschaft vom Testamentsvollstrecker nur nach den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung nach § 2216 BGB verlangen kann, so grenzt das die Möglichkeiten des Zugriffs der Sozialhilfe bzw. des Vorerben selbst schon erheblich ein. Für einen effektiven Schutz gegen die Einsatzpflicht der Mittel in der Sozialhilfe reichte die Dauertestamentsvollstreckung nach h.M. bisher nicht aus. Es wurde als notwendig angesehen, einen dritten "Schutzring" um die Nachlass-"nutzungen" (§ 100 BGB) zu legen.
Rz. 76
Ohne individuelle und konkrete Verwaltungsanordnungen des Erblassers – so Rechtsprechung und Literatur – würde zumindest die Herausgabe von Mitteln zum allgemeinen Lebensunterhalt zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Testamentsvollstreckers (§ 2216 Abs. 1 BGB) gehören. Der Testamentsvollstrecker könne dazu in Einzelfällen sogar zu einer Belastung oder Veräußerung von Nachlassgegenständen verpflichtet sein. Erben könnten den Testamentsvollstrecker insoweit auf Freigabe der Nutzungen im Wege der Leistungsklage in Anspruch nehmen. Der Anspruch wäre nach § 93 SGB XII auf den Sozialhilfeträger überleitbar. Deshalb bedürfe es konkreter Verwaltungsanordnungen im Sinne von § 2216 Abs. 2 BGB, die bestimmten, was ordnungsgemäß sei, und die dem Testamentsvollstrecker bindend seine Amtsführung auch gegen den erkennbaren Willen des Erben oder "begehrlicher" Dritter vorgäben. Damit stünden dem bedürftigen Vorerben keine "bereiten" Mittel zur Deckung seines Bedarfs zur Verfügung, solange die Testamentsvollstreckung wirke und der Testamentsvollstrecker auch nicht verpflichtet werden könne, "Nutzungen" aus dem Nachlass an den Vorerben oder dessen Vertreter herauszugeben. Bisher galten die Verwaltungsanordnungen des Erblassers deshalb als der Dreh- und Angelpunkt, als Herzstück bzw. als Königsdisziplin einer erbrechtlichen Gestaltung, weil mit ihnen die Weichen dafür gestellt werden, ob es dem Testamentsvollstrecker gelingt, dem behinderten Menschen etwas "zufließen" zu lassen, was sozialhilferechtlich nicht eingesetzt werden muss. Auslegung und die Reparaturmöglichkeit des § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB sind nur ultima ratio.
Rz. 77
Hinweis
In einer aktuellen Entscheidung des LSG Baden-Württemberg hat das Gericht es nicht beanstandet, dass "sich aus dem Testament weder deutlich der Wille des Erblassers ergebe, dass der Verbrauch des Nachlasses auch im Falle der grundsicherungsrechtlichen Hilfebedürftigkeit des Klägers verhindert werden solle, noch, dass der Nachlass existenzsichernd für den (laufenden) Lebensunterhalt des Klägers eingesetzt werden solle.“ Ein der/dem Leistungsbegehrenden im Wege des Vorvermächtnisses zugewandter, nicht zur Bestreitung laufender Kosten des Lebensunterhalts gedachter "Notgroschen", für den der Erblasser die Verwaltung durch einen Testamentsvollstrecker nach dessen billigem Ermessen angeordnet hat, sei nach den Regelungen des BGB rechtlich unverwertbar."
Rz. 78
Die Entscheidung des BGH zum Vorrang der Verwaltungsanordnungen des Erblassers vor den gesetzlichen Regelungen des § 2216 Abs. 1 BGB und zum Recht des Testamentsvollstreckers auch ohne Verwaltungsanordnungen Nachlassnutzungen thesaurieren zu dürfen, scheint keine entscheidende Änderung in der Einstellung zur Notwendigkeit sorgfältiger Verwaltungsanordnungen eingeläutet zu haben.
Wendt feiert die Entscheidung zwar als "Reduktivum" und "Geburtstagsgeschenk", spricht sich aber weiterhin für konkrete und sichernde Verwaltungsanordnungen aus. Dem folgt auch die Literatur im Übrigen, die ausdrücklich empfiehlt, auch weiterhin nicht auf konkrete Verwaltungsanordnungen zu verzichten.
Hinweise
Die bisher empfohlenen Standardverwaltungsanordnungen sind z.T. überarbeitungsbedürftig. Sie verkennen zum Teil nach wie vor, dass "die Auszahlung von Geld im sozialhilferechtlich zulässigen Rahmen" rechtlich unmöglich ist. Geldzufluss im Bedarfszeitraum ist regelhaft Einkommen und damit bedarfsmindernd anzurechnen. Private Zweckbestimmungen ändern daran nichts. Solche Verwaltungsanordnungen sollten nicht mehr verwendet werden. Das gilt auch für jede Zuwendung in Geldeswert (§§ 82 ff. SGB XII).
Die Weiterentwicklung von Gesetz und Rechtsprechung fordert ebenfalls eine sorgfältige Anpassung von Verwaltungsanordnungen. Sie sollten sich nicht nur auf Sozialhilfeleistungen (also SGB XII) beziehen, sondern auf alle nachrangig ausgestalteten (Sozial-)Leistungen. Dazu gehören die Kosten einer Betreuung und des Betreuers ebenso wie der Eigenbetrag des § 137 Abs. 3 SGB IX oder der Aufwendungsersatz des § 137 Abs. 4 SGB IX. Allerdings muss hierbei wirklich abgewogen werden, ob ein solcher Fall angesichts der hohen Freibeträge beim Jahreseinkommen und des minimalen Eigenbeitrages von 2 % des überschießenden Jahreseinkommens, wirklich realistisch bzw. regelungsbedürftig ist.