Rz. 247

Für den Gebrauchtwagenhändler besteht zwar keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, das Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen.[629] Es wird aber eine allgemeine Untersuchungspflicht im Sinne einer Sicht- und Funktionsprüfung bejaht.[630]

Da der Kunde in aller Regel die Sachkunde des Gebrauchtwagenhändlers durch einen höheren Kaufpreis als beim Privatkauf üblich mit vergütet, kann der Käufer normalerweise darauf vertrauen, dass der Kfz-Händler, der ja grundsätzlich eine fehlerfreie Ware schuldet, diese Angaben zumindest in einem gewissen Rahmen überprüft,[631] falls hierauf nicht ausdrücklich oder stillschweigend vom Käufer verzichtet wurde,[632] oder der Händler nicht deutlich zu erkennen gibt, dass er die Fahrzeuge nicht untersucht.[633]

 

Rz. 248

Wer zumutbare und in den Verkehrskreisen übliche Vorkehrungen unterlässt, den Verkauf mängelbehafteter Ware zu vermeiden, handelt vorwerfbar pflichtwidrig. Üblich und zumutbar – und zwar in der Regel schon beim Ankauf[634] – sind im gewerbsmäßigen Autohandel eine Sichtprüfung[635] von außen und innen sowie eine Funktionsprüfung.[636] Es kann von einem "Rollenvertrauen" gesprochen werden, welches sich schon aus dem Auftreten im Rechtsverkehr als fachkundiger Händler ergibt und schon allein die Erwartung rechtfertigt, dass im professionellen Handel angebotene Fahrzeuge fachmännisch untersucht werden.[637] Wird nicht untersucht, hat der Händler eine entsprechende Aufklärungspflicht, anderenfalls darf der Käufer davon ausgehen, dass der Pkw ohne Ergebnis auf Unfallschäden untersucht wurde.[638] Hiervon werden im Einzelfall auch Ausnahmen gemacht, wenn für den Käufer aus den Umständen offensichtlich war, dass der Verkäufer das Fahrzeug nicht untersucht hat (z.B. bei sofortigem Weiterverkauf).[639] Das soll auch für den privaten Verkauf gelten, wenn der Verkäufer bei dem Käufer den Eindruck erweckt, dass er einen gewerblichen Gebrauchtwagenhandel betreibe und dass er jedenfalls über die überlegene Sachkunde eines Gebrauchtwagenhändlers und Kfz-Fachmannes verfüge.[640]

 

Rz. 249

Der Umfang der Untersuchungspflicht bestimmt sich nach dem technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren. Verfügt der Händler nicht über eine eigene Werkstatt, genügt eine Überprüfung auf leicht erkennbare Mängel; Händler mit Werkstatt müssen genauer untersuchen.[641]

 

Rz. 250

Die Sichtprüfung hat durch einen Techniker zu erfolgen und umfasst Karosserie (innen und außen) einschließlich Radhaus und Federbeinwänden, Reifen, Felgen und auch die Fahrzeugunterseite nebst Bremsleitungen, auch wenn eine Hebebühne nicht vorhanden ist.[642] Zu kontrollieren ist neben der Zulässigkeit von Reifen und Felgen sowie der Fahrzeugidentitätsnummer[643] insbesondere auf Durchrostungen und Unfallindikationen wie Nachlackierungen, unterschiedliche Türspalten und Blechunebenheiten.[644]

 

Rz. 251

Ohne konkreten Unfall- oder Mängelverdacht besteht keine Pflicht zur Achsvermessung, zum Einsatz von Rostsuchgeräten,[645] der Demontage der Bremsanlage[646] einer Lackschichtmessung[647] oder einer umfassenden Motoruntersuchung.[648] Auch eine Überprüfung der tatsächlichen Laufleistung wird – trotz häufiger Tachomanipulationen – nicht geschuldet, soweit sich nicht Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit aufdrängen.[649] Für zweifelhaft hält es der BGH,[650] ob ein Händler das Alter von Hochgeschwindigkeitsreifen überprüfen muss, wenn er diese kurz zuvor als neu und äußerlich einwandfrei erworben hat. Er bejaht die Untersuchungspflicht aber jedenfalls dann, wenn das Profil schon längere Zeit nicht mehr hergestellt wird, so dass sich Zweifel über das tatsächliche Alter des Reifens hätten aufdrängen müssen.[651] Ist ein Gebrauchtfahrzeug teilweise nachlackiert, muss der Händler den Kunden auf den sich hieraus ergebenden Unfallverdacht hinweisen. Andernfalls kann nicht nur fahrlässiges, sondern sogar arglistiges Verhalten i.S.d. § 123 BGB in Betracht kommen.[652]

 

Rz. 252

Für den Motor genügen eine Sichtprüfung sowie eine Funktionsprüfung auf Laufgeräusche, der Kompressionsdruck braucht nicht geprüft zu werden. Insbesondere bei einem Händler ohne Werkstatt ist eine Motorinspektion nicht zu erwarten.[653] Aber auch vom Händler mit Werkstatt wird nicht erwartet, dass der Motor zerlegt oder mit einem Diagnosegerät gezielt getestet wird.[654]

 

Rz. 253

Während im Fachhandel die optische und technische Untersuchung Standard ist, gelten diese Erwägungen nicht für den Verkauf von Leasingfahrzeugen durch den Leasinggeber:[655] Das Fahrzeug wird nicht angekauft, so dass kein angemessener Preis ermittelt werden muss. Aufgrund seiner AGB und der abzuschließenden Vollkaskoversicherung kann der Leasinggeber davon ausgehen, dass ihm ein Unfallschaden – auch ohne Untersuchung – bekannt würde. Schließlich beschränkt sich der Geschäftszweck nicht auf Gebrauchtwagenhandel, so dass im Ergebnis eine Untersuchungspflicht nicht anzunehmen ist, selbst wenn eine Reparaturwerkstatt vorhanden ist.

 

Rz. 254

Soweit eine Untersuchungspflicht ni...

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